Einführung: Der Gott, der sich entäußert
Der Begriff Kenose (vom griechischen κένωσις, „Entäußerung“) steht für eines der tiefgründigsten und revolutionärsten Konzepte des Christentums, offenbart in Philipper 2,5-7:
„Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern entäußerte sich (ekenōsen) und wurde wie ein Sklave.“
Diese „Selbstentäußerung“ Christi steht im Zentrum des Geheimnisses der Menschwerdung und ist Vorbild für das geistliche Leben.
1. Kenose in der Bibel: Theologische Grundlagen
A) Philipper 2,5-11
- Kontext: Paulus schreibt an eine durch Ehrgeiz gespaltene Gemeinde (Phil 2,3-4).
- Der Akt der Erniedrigung: Christus, obwohl Gott, entäußert sich freiwillig:
- Legt Seine Herrlichkeit ab (nicht Seine Göttlichkeit).
- Nimmt Menschennatur an (Joh 1,14).
- Wird ein Sklave (niedrigster Status der römischen Gesellschaft).
- Gehorsam bis zum Tod am Kreuz (Strafe für Verbrecher).
B) Weitere biblische Bezüge
- 2 Korinther 8,9: „Er, der reich war, wurde arm um euretwillen.“
- Johannes 17,5: Jesus betet um die Rückkehr der Herrlichkeit, die Er „bei Dir hatte, ehe die Welt war“ (zeigt die Zeitlichkeit der Kenose).
2. Kenose versus traditionelle Theologie
Die Kirche lehrt:
- Christus blieb immer Gott (gegen die arianische Häresie).
- Er beschränkte freiwillig den Gebrauch Seiner göttlichen Attribute (z.B. verzichtete auf Allmacht, um zu leiden).
- Ein Akt unendlicher Liebe: Gott macht sich verletzlich, um uns zu erlösen.
Analogie: Wie ein König, der ohne aufzuhören König zu sein, Lumpen trägt, um sein Volk zu retten.
3. Kenose und christliches Leben: Christus gleich werden
Jesus lehrte nicht nur Demut – Er lebte sie. Daher ist Kenose:
A) Für die Kirche
- Radikaler Dienst: Der Papst wäscht Gefangenen die Füße.
- Option für die Armen (Mt 25,40).
B) Für jeden Gläubigen
- Das Ich entleeren: Stolz ablegen (Spr 16,18).
- Bis zur Hingabe lieben: Wie eine Mutter, die Träume für ihre Kinder opfert.
- Gott vertrauen: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“ (2 Kor 12,10).
Modernes Beispiel: Mutter Teresa, die den Ärmsten in Armut diente.
4. Kenose in der heutigen Welt
In einer Kultur, die Erfolg, Macht und Autonomie vergöttert, ist Kenose:
- Kontrakulturell: Jesus kehrt weltliche Logik um (Mk 10,42-45).
- Befreiend: Macht frei vom Zwang, „etwas darzustellen“.
- Revolutionär: Wie Franziskus, der Armut um der Freiheit willen wählte.
Schluss: Die Kraft der Schwachheit
Kenose ist keine Niederlage – sie ist der Sieg der Liebe über den Egoismus. Indem Christus sich entäußert:
- Besiegt Er die Sünde (nicht mit Heeren, sondern durchbohrtem Herzen).
- Zeigt uns den Weg: „Lernt von Mir; denn Ich bin gütig und von Herzen demütig“ (Mt 11,29).
Einladung:
„Willst du groß sein? Werde klein. Willst du frei sein? Verschenke dich. Willst du leben? Entleere dich, damit Gott dich füllt.“
📖 „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer es aber um Meinetwillen verliert, wird es gewinnen“ (Mt 16,25).
Wie wirst du heute deine Kenose leben? Teile deine Gedanken.