Sie kam vor allen anderen: Die erste Marienerscheinung des Christentums, die die Geschichte veränderte

Einleitung: Ein stiller Besuch, der den Lauf des Glaubens veränderte

Wenn wir an Marienerscheinungen denken, kommen uns Orte wie Lourdes, Fatima, Guadalupe oder La Salette in den Sinn. Diese Orte wurden Jahrhunderte nach der Geburt der Kirche zu Epizentren des Glaubens, der Bekehrung und der Wunder. Doch nur wenige wissen, dass die erste Marienerscheinung des Christentums nur wenige Jahre nach der Himmelfahrt Christi stattfand – und zwar nicht im Heiligen Land, sondern im heutigen Saragossa in Spanien.

Diese Erscheinung ist einzigartig – nicht nur wegen ihres Alters, sondern auch deshalb, weil die Jungfrau Maria zu diesem Zeitpunkt noch lebte, bevor sie in den Himmel aufgenommen wurde.

Die Kirche erkennt sie unter dem Titel Unsere Liebe Frau auf dem Pfeiler („Nuestra Señora del Pilar“) an, und ihr Zeugnis begleitet den Glauben von Millionen Gläubigen seit zwei Jahrtausenden. Diese Erscheinung ist nicht nur reich an tiefen Symbolen: Sie bietet uns auch einen kraftvollen geistlichen und pastoralen Leitfaden für unsere Zeit, die von Individualismus, Zweifel und dem Verlust des missionarischen Eifers geprägt ist.


I. Geschichte und Kontext: Was geschah im Jahr 40 in Saragossa?

Ein entmutigter Apostel, eine tröstende Mutter

Der heilige Jakobus der Ältere, Bruder des heiligen Johannes des Evangelisten und Sohn des Zebedäus, gehörte zu den engsten Jüngern Christi. Nach Pfingsten begann er, die Iberische Halbinsel zu evangelisieren. Doch die Härten der Bevölkerung und die geringen Früchte seiner Predigt führten ihn zu tiefer Entmutigung. In Saragossa – damals Caesaraugusta genannt – hielt er sich mit nur wenigen Neubekehrten auf, als das Unerwartete geschah.

Die Erscheinung: Maria erscheint in ihrem irdischen Leib

Laut der durch die Jahrhunderte überlieferten Tradition, die von der Kirche bewahrt wird, erschien die Jungfrau Maria dem Jakobus, stehend auf einer Säule aus Jaspis, begleitet von Engeln, um ihn in seiner missionarischen Aufgabe zu stärken. Das Erstaunlichste daran ist, dass Maria zu diesem Zeitpunkt noch in Ephesus lebte, wie verschiedene patristische und apokryphe Quellen berichten. Es handelte sich also nicht um eine geistige Erscheinung nach ihrer Aufnahme in den Himmel, sondern um eine wunderbare Bilokation, die die Herrlichkeit vorwegnahm, die sie später im Himmel vollständig entfalten sollte.

Sie übergab ihm den Pfeiler – ein Symbol des Glaubens und der Standhaftigkeit – und bat ihn, an diesem Ort eine Kapelle zu ihren Ehren zu errichten, mit der Prophezeiung, dass dieser Ort niemals zerstört werden würde. So entstand das erste marianische Heiligtum der Welt: die heutige Basilika Unserer Lieben Frau auf dem Pfeiler.


II. Historische Quellen und kirchliche Tradition

Frühe Zeugnisse

Auch wenn die Evangelien und die Apostelgeschichte diese Erscheinung nicht erwähnen (weil sie sich auf das Leben Christi und die unmittelbare Ausbreitung des Christentums konzentrieren), existieren sehr alte Quellen, die dieses Ereignis bestätigen:

  • Das Römische Brevier aus dem 12. Jahrhundert erwähnt die Erscheinung als seit alters her verehrte Tradition.
  • Das Römische Martyrologium, vom Heiligen Stuhl anerkannt, feiert den 12. Oktober als Tag der Erscheinung.
  • Schriften von Autoren wie dem seligen Juan de Mariana, Pater Mariana S.J., sowie vielen spanischen Kirchenhistorikern des 16. und 17. Jahrhunderts berichten davon.
  • Im Tempel selbst gibt es Inschriften aus dem 9. Jahrhundert, die die ununterbrochene Verehrung seit dem 1. Jahrhundert belegen.

Kirchliche Anerkennung

Der Heilige Stuhl erkennt die Erscheinung offiziell an, insbesondere durch die liturgische Feier Unserer Lieben Frau auf dem Pfeiler. Zudem wurden Ablässe für ihre Verehrung gewährt. Die Basilika in Saragossa wurde zur Basilika minor erhoben, und die Verehrung Unserer Lieben Frau auf dem Pfeiler ist eine der ältesten und weitverbreitetsten im hispanischen Raum.


III. Theologische Bedeutung: Was lehrt uns diese Erscheinung?

1. Maria – Vorbild und Mutter der Missionare

Die Jungfrau wartete nicht bis zu ihrer Aufnahme in den Himmel, um den Aposteln beizustehen. Sie kam leibhaftig – als Fürsprecherin und Mutter –, um den Glauben dessen zu stärken, der das Evangelium zu neuen Völkern trug. Das offenbart eine tief missionarische Dimension Mariens. Sie ist nicht passiv oder rein kontemplativ, sondern aktiv, lebendig und gegenwärtig.

Wie es im Evangelium heißt:

„Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20)
Diese Worte des Herrn erfüllen sich auch in seiner Mutter, die an seiner Sendung teilhat.

2. Der Pfeiler als ekklesiologisches Symbol

Der von Maria übergebene Pfeiler steht für den festen Glauben, wie Paulus schrieb:

„Die Kirche des lebendigen Gottes, die Säule und das Fundament der Wahrheit.“ (1 Tim 3,15)

Maria kam nicht nur, um Jakobus zu ermutigen; sie gab ihm ein konkretes, sichtbares Zeichen, das bis heute besteht. Diese Säule wurde zu einem Symbol der Treue, der Ausdauer und der Reinheit der Lehre – drei Tugenden, die in Zeiten der Verwirrung und des Relativismus besonders notwendig sind.

3. Maria und die Einheit des apostolischen Leibes

Obwohl sie sich in Ephesus befand, war Maria nicht fern von den Kämpfen der anderen Apostel. Ihr übernatürliches Eingreifen verknüpfte die Enden der entstehenden Christenheit und kündigte ihre Rolle als Mutter der universalen Kirche an.


IV. Geistliche und pastorale Anwendung für heute

Wie kann uns die Erscheinung von El Pilar heute helfen?

Wir leben in einer Zeit der Entchristlichung, der doktrinellen Verwirrung und der missionarischen Ermüdung. Viele glauben, Evangelisierung sei sinnlos, der Glaube sei am Sterben, Christus zu verkünden sei verlorene Liebesmüh.

Unsere Liebe Frau auf dem Pfeiler gibt uns vier wesentliche Lektionen:

1. Ausdauer in der Mission

Auch wenn du keine Früchte siehst, Gott sieht deine Mühe. Maria kam nicht, um die Herzen an Jakobus’ Stelle zu bekehren, sondern um ihn zu ermutigen, weiterzusäen.

2. Ein fester Glaube wie der Pfeiler

Unser Glaube darf nicht rein emotional sein, sondern eine feste Überzeugung, wie eine Säule, die den Stürmen von Modeerscheinungen und Irrtümern standhält.

3. Mariens ständige Gegenwart

Maria verlässt ihre Kinder nie, weder im 1. noch im 21. Jahrhundert. Sie ist in Prüfungen gegenwärtig, auch wenn wir sie nicht spüren. Wir müssen sie täglich anrufen, wie es die ersten Christen taten.

4. Die Macht der Kleinen

Jakobus hatte keine Menge, keine Institution. Er hatte den Glauben, ein paar Jünger… und einen Besuch vom Himmel. Gott wirkt durch die Kleinen, wenn sie treu sind.


V. Praktischer Leitfaden: Heute im Schatten des Pfeilers leben

Hier ist ein pastoraler und theologischer Leitfaden, um diese Erscheinung in deinem Alltag lebendig zu machen:

1. Weihe an Unsere Liebe Frau auf dem Pfeiler

Schenke ihr jeden Tag ein Gebet. Zum Beispiel:
„O Maria vom Pfeiler, stärke meinen Glauben, stütze meine Hoffnung, und lass mich auf dem Weg, den Christus mir gegeben hat, nicht wanken.“

2. Bete den Rosenkranz mit missionarischer Ausrichtung

Nimm dir den heiligen Jakobus zum Vorbild. Bete bei jedem Geheimnis für eine Seele, die Christus noch nicht kennt.

3. Lies die Apostelgeschichte

Vor allem Kapitel 1 bis 12, in denen sich der apostolische Eifer des Jakobus zeigt. Mache einmal wöchentlich eine Lectio Divina und wende sein Beispiel auf dein Umfeld an: Familie, Arbeit, Freundeskreis.

4. Feier den 12. Oktober mit geistlicher Tiefe

Über den nationalen Feiertag hinaus sollte dieser Tag ein Moment des geistlichen Neubeginns für dein christliches Engagement sein. Geh zur Messe, bete den Rosenkranz, faste, wenn du kannst.

5. Stelle ein kleines „Pfeiler“-Symbol zu Hause auf

Es kann eine Kerze, ein Bild oder eine kleine Figur mit der Jungfrau auf dem Pfeiler sein. Es soll dich täglich erinnern: „Sei standhaft im Glauben!“


Schluss: Eine Mutter, die ihre Kinder nie vergisst

Die erste Marienerscheinung war kein bedeutungsloses außergewöhnliches Ereignis. Es war das liebevolle Eingreifen einer Mutter, die ihren Sohn in der Not sah und ihm zu Hilfe kam. So ist Unsere Liebe Frau auf dem Pfeiler: fest, beständig, gegenwärtig, tröstend.

Auch heute ist die Evangelisierung schwierig, der Glaube angefochten, die Herzen verschlossen. Doch Maria kommt uns weiterhin mit derselben Zärtlichkeit, mit demselben Pfeiler entgegen, um uns zu stützen.

Wie Papst Benedikt XVI. sagte:

„Der Glaube braucht sichtbare Zeichen. Aber die mächtigsten sichtbaren Zeichen Gottes sind die Heiligen und die Jungfrau Maria.“

Du bist nicht allein. Jakobus war es nicht. Und mit Unserer Lieben Frau auf dem Pfeiler ist auch die Kirche in schwierigen Zeiten nicht allein.

Über catholicus

Pater noster, qui es in cælis: sanc­ti­ficétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in cælo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in ten­ta­tiónem; sed líbera nos a malo. Amen.

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