Die Liturgie ist das Herzstück des christlichen Lebens, der heilige Ort, an dem die Kirche Gott im Gebet, im Opfer und im Lobpreis begegnet. In diesem Rahmen nimmt die Verkündigung des Wortes einen zentralen Platz ein, und die Lektoren tragen die Verantwortung, die Stimme Gottes an die Versammlung weiterzugeben. Doch die Rolle des Lektors war im Laufe der Geschichte nicht einheitlich. In der traditionellen lateinischen Messe (Vetus Ordo) war die Verkündigung der Heiligen Schrift ausschließlich dem Klerus vorbehalten, während in der ordentlichen Form (Novus Ordo), die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eingeführt wurde, auch Laien diese Funktion übernehmen. Wie ist dieses Amt entstanden? Welche geistliche Bedeutung hat es? Und welche Unterschiede gibt es zwischen den beiden Formen des römischen Ritus?
1. Ursprung und Entwicklung des Lektorendienstes
Die Rolle der Heiligen Schrift in der Geschichte der Kirche
Seit biblischen Zeiten ist die Verkündigung des Wortes Gottes eine Säule im Leben des Volkes Israel und der frühen Kirche. Im Alten Testament hatten die Leviten und Schriftgelehrten die Aufgabe, das Gesetz des Mose vor dem Volk zu verlesen. Ein Schlüsselbeispiel für diesen Akt findet sich in Nehemia 8:
„Und Esra öffnete das Buch vor den Augen des ganzen Volkes, denn er stand höher als das ganze Volk. Und als er es öffnete, erhob sich das ganze Volk. Und Esra pries den Herrn, den großen Gott. Und das ganze Volk antwortete mit erhobenen Händen: ‚Amen! Amen!‘ Und sie neigten sich und warfen sich vor dem Herrn nieder, das Angesicht zur Erde.“ (Nehemia 8,5-6)
Diese Passage zeigt, dass das Lesen der Heiligen Schrift stets eine heilige Handlung war, die Ehrfurcht und Vorbereitung erforderte.
Der Lektorendienst in der frühen Kirche
In den ersten Jahrhunderten des Christentums entwickelte sich das Lektorat als niedere Weihe innerhalb des Klerus. Der heilige Justin der Märtyrer (2. Jahrhundert) erwähnt in seiner Apologie, dass während der eucharistischen Feier ein Lektor die Heilige Schrift verkündete, bevor der Bischof die Predigt hielt. In einer Gesellschaft, in der die Mehrheit der Gläubigen nicht lesen konnte, war diese Aufgabe von entscheidender Bedeutung.
Im 3. Jahrhundert zählte Papst Kornelius die Lektoren zum niederen Klerus. Ihre Aufgabe war nicht nur das Vorlesen in der Messe, sondern auch die Unterweisung der Katechumenen und die Unterstützung des Katecheseunterrichts.
Die Verkündigung des Wortes im Vetus Ordo
Im Mittelalter, mit der Etablierung des Lateinischen als liturgische Sprache und der Zentralität des Priesters in der Messe, verlor das institutionalisierte Lektorat an Bedeutung. In der tridentinischen Messe (Vetus Ordo) wurden die Lesungen ausschließlich vom Priester oder Diakon verkündet, niemals von einem Laien. Dies lag an der Auffassung, dass der Altar ein heiliger Ort sei, an dem nur geweihte Amtsträger tätig sein dürften. Eine Verkündigung in der Landessprache war nur außerhalb der Messe erlaubt, etwa in der Predigt oder der Katechese.
Der Lektor im Novus Ordo und die Öffnung für Laien
Das Zweite Vatikanische Konzil stellte die Bedeutung der Verkündigung des Wortes in der Landessprache wieder her und erlaubte Laien, diese Aufgabe innerhalb der Liturgie zu übernehmen. 1972 reformierte Papst Paul VI. mit dem Motu Proprio Ministeria quaedam die niederen Weihen und führte das Lektorat als einen Laien-Dienst ein. Jüngst, im Jahr 2021, öffnete Papst Franziskus diesen Dienst auch für Frauen.
Diese Reform stellte einen klaren Bruch mit der Tradition des Vetus Ordo dar, in dem der Lektor kein Laie, sondern ein niederrangiger Kleriker oder Subdiakon war. Für diejenigen, die die traditionelle Messe verteidigen, sollte die Verkündigung der Heiligen Schrift in der Liturgie weiterhin den geweihten Amtsträgern vorbehalten bleiben, da sie Teil des liturgischen Opfers ist und nicht auf eine bloße Lesung reduziert werden kann.
2. Die geistliche Aufgabe des Lektors
Lektor zu sein bedeutet nicht einfach, einen Text laut vorzulesen. Es bedeutet, die Stimme Gottes für die Gemeinde zu sein. Der heilige Paulus erinnert uns daran:
„Der Glaube kommt aus dem Hören, das Hören aber durch das Wort Christi.“ (Römer 10,17)
Die Verkündigung des Wortes muss mit Ehrfurcht und Vorbereitung erfolgen, denn in ihr spricht Gott selbst zu seinem Volk.
Geistliche und technische Vorbereitung
Um diesen Dienst angemessen auszuführen, muss sich ein Lektor in zwei Dimensionen vorbereiten:
- Geistlich: Die Passage im Voraus lesen und meditieren, beten und um die Gnade bitten, mit Glauben zu verkünden.
- Technisch: Aussprache, Intonation und Rhythmus beherrschen, damit die Botschaft die Gemeinde klar und wirkungsvoll erreicht.
Im Vetus Ordo lag diese Vorbereitung beim Priester oder Diakon, der eine tiefgehende theologische Schulung zu den Heiligen Schriften hatte. Im Novus Ordo besteht die Herausforderung darin, dass die Laienlektoren eine ausreichende Ausbildung erhalten, um das Wort Gottes würdig zu verkünden.
3. Unterschiede zwischen dem Vetus Ordo und dem Novus Ordo in der Verkündigung des Wortes
Aspekt | Vetus Ordo (Tridentinische Messe) | Novus Ordo (Messe nach 1970) |
---|---|---|
Wer verkündet das Wort | Nur der Priester oder Diakon | Ein Laie (Lektor) kann dies tun |
Sprache der Verkündigung | Latein | Landessprache |
Ort der Verkündigung | Am Altar, als Teil des Opfers | Am Ambo, als Belehrung der Gemeinde |
Ausbildung des Lektors | Kleriker mit theologischer Schulung | Jeder Laie mit grundlegender Ausbildung |
Fazit: Das Wort Gottes und seine liturgische Überlieferung
Die Verkündigung des Wortes Gottes ist ein wesentlicher Bestandteil der Liturgie. In der ordentlichen Form des römischen Ritus (Novus Ordo) haben Laien die Möglichkeit, die Heilige Schrift zu verkünden, wodurch die aktive Teilnahme des Volkes an der Messe gestärkt wird. In der außerordentlichen Form (Vetus Ordo) hingegen bleibt die Verkündigung dem Klerus vorbehalten, um die Heiligkeit des Altars und die priesterliche Funktion in der Übermittlung des Glaubens zu betonen.
Unabhängig von den liturgischen Unterschieden ist das Wesentliche, dass das Wort Gottes mit Ehrfurcht, Treue und einem Geist des Gebets verkündet wird. Wie es im Hebräerbrief 4,12 heißt:
„Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark; es richtet über die Gedanken und Gesinnungen des Herzens.“
Möge jeder Lektor, ob in der traditionellen oder in der reformierten Messe, sich stets daran erinnern, dass er ein Werkzeug Gottes ist, um Seine Botschaft in die Welt zu tragen.