Einleitung: Ein Heiliges Geheimnis Unter der Erde
Tief in den mittelalterlichen Kathedralen, unter geweihten Altären und neben den Gebeinen heiliger Bischöfe, liegt ein verborgener Schatz, den nur wenige kennen: begrabene Evangeliare. Diese prächtig verzierten heiligen Bücher, die das Wort Gottes enthalten, wurden zusammen mit Bischöfen bestattet – als stummes, aber machtvolles Zeugnis: Gottes Wort war ihr wahrer Reichtum.
Was heute seltsam oder sogar befremdlich erscheinen mag, birgt eine tiefe sakramentale Theologie, eine ehrfürchtige Liebe zur Heiligen Schrift und eine zeitlose Lehre für unsere moderne Welt, in der die Bibel oft nur als historisches Dokument betrachtet oder sogar ignoriert wird.
In diesem Artikel werden wir untersuchen:
- Ursprung und Bedeutung des begrabenen Evangeliars
- Seine theologische und geistliche Symbolik
- Historische Beispiele und ihre Verbindung zur katholischen Tradition
- Warum dieser Brauch auch heute noch relevant ist
1. Ursprung und Bedeutung: Warum ein Heiliges Buch Begraben?
Eine uralte Tradition mit tiefen Wurzeln
Der Brauch, Evangeliare mit Bischöfen und Heiligen zu bestatten, war kein willkürlicher Akt, sondern eine symbolträchtige Geste. Er geht auf die frühen Jahrhunderte des Christentums zurück, als Märtyrer begraben und ihre Gräber zu Stätten der Verehrung wurden. Im Laufe der Zeit erweiterte sich diese Praxis auf Bischöfe, die als Nachfolger der Apostel galten.
Das Evangeliar – ein Buch mit den vier Evangelien, oft verziert mit Gold, Edelsteinen und Elfenbein – war das wertvollste Objekt der mittelalterlichen Liturgie. Es war nicht nur ein Text, sondern eine sakramentale Gegenwart Christi, des fleischgewordenen Wortes (Johannes 1,14).
„Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz“ (Matthäus 6,21)
Die Beisetzung des Evangeliars mit einem Bischof symbolisierte, dass sein größter Schatz nicht irdischer Reichtum, sondern das Wort Gottes war. Es war ein Bekenntnis, dass der Bischof selbst im Tod mit Christus, dem Ewigen Wort, vereint blieb.
Dieser Akt spiegelte auch den Glauben an die Gemeinschaft der Heiligen wider: Wie die Märtyrer durch ihr Blut Zeugnis ablegten, so taten es die Bischöfe durch das Wort, das sie verkündet hatten.
2. Theologische Symbolik: Das Buch, das Niemals Stirbt
Das Evangeliar als „Same“ der Kirche
In der Antike glaubte man, dass das Begraben eines heiligen Gegenstandes den Ort heiligt. Das begrabene Evangeliar wirkte wie ein geistlicher Same, der sicherstellte, dass Gottes Wort weiterhin Frucht trug – von der Ruhestätte des Bischofs aus.
Diese Geste erinnert an Jesu Worte:
„Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Johannes 12,24).
Das begrabene Buch war kein totes Objekt, sondern ein Symbol ewigen Lebens.
Altar und Grab: Eine Liturgische Verbindung
In der katholischen Tradition muss jeder Altar Reliquien von Heiligen enthalten. Denn die Eucharistie – das Opfer Christi – ist mit dem Zeugnis der Märtyrer und Heiligen verbunden.
Wenn ein Evangeliar im Grab eines Bischofs beigesetzt wurde, entstand eine Verbindung zwischen:
- Gottes Wort (Evangelium)
- Christi Opfer (Eucharistie)
- Dem Zeugnis des Bischofs (Heiligkeit)
Es war eine Aussage: „Dieser Mann lebte und starb für das Evangelium, und nun ist sein Grab ein Altar, von dem das Wort weiter erklingt.“
3. Historische Beispiele: Evangeliare, die aus der Stille Sprechen
Das Evangeliar des Heiligen Cuthbert
Eines der berühmtesten Beispiele ist das Evangeliar des Heiligen Cuthbert, eine Handschrift aus dem 7. Jahrhundert, die im Grab dieses englischen Bischofs gefunden wurde. Das auf wundersame Weise erhaltene Buch ist heute ein Zeugnis dafür, wie die Heiligen sich bis in den Tod an Gottes Wort klammerten.
Mittelalterliche Bischöfe und ihre Heiligen Bücher
In vielen europäischen Kathedralen, wie denen von Reims oder Köln, wurden Evangeliare neben Bischofsgebeinen entdeckt. Diese Bücher, oft auf Pergament geschrieben und mit Darstellungen Christi in Majestät verziert, dienten als letzte Predigt: „Mein Leben war das Evangelium; mein Tod ein Opfer für den, der das Wort ist.“
4. Warum dieser Brauch auch heute noch Bedeutung hat
Eine Welt, die Gottes Wort Begräbt
Heute wird die Bibel oft auf andere Weise begraben:
- Durch Gleichgültigkeit (viele Katholiken lesen sie nicht).
- Durch Relativismus (ihre göttliche Inspiration wird geleugnet).
- Durch Säkularismus (sie wird wie ein gewöhnliches Buch behandelt).
Die mittelalterliche Praxis stellt uns in Frage: Ist Gottes Wort wirklich unser Schatz?
Die Liebe zur Schrift Wiederentdecken
Papst Benedikt XVI. sagte: „Die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen.“ Die mittelalterlichen Bischöfe, die mit ihren Evangeliaren begraben wurden, lehren uns:
- Die Bibel ist nicht nur zum Studieren, sondern zum Leben da.
- Sie muss im Mittelpunkt unserer Spiritualität stehen.
- Unser Leben soll ein „lebendiges Evangeliar“ sein.
Fazit: Wo ist Dein Schatz?
Das „begrabene Evangeliar“ ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern eine Botschaft für heute. In einer Welt, die vergängliche Schätze jagt, bleibt Gottes Wort ewig.
Bewahren wir es in unseren Herzen, wie jene Bischöfe, die es mit ins Grab nahmen? Oder haben wir es unter dem Staub der Gleichgültigkeit begraben?
Möge ihr Beispiel uns inspirieren, das lebendige Evangelium wieder auszugraben und es zu unserem größten Schatz zu machen.
„Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, doch das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit“ (Jesaja 40,8).
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