Die eherne Schlange und das Kreuz: Die heilende Kraft des vorgebildeten Christus

Eine tiefe, zugängliche und aktuelle Betrachtung eines der stärksten Vorbilder der Erlösung


Einleitung

In der Bibel gibt es Bilder, die auf den ersten Blick seltsam – ja sogar verstörend – erscheinen. Eines davon ist die eherne Schlange, die Mose in der Wüste erhöhte. Wie kommt es, dass eine Schlange – Symbol der Sünde, der Täuschung, ja sogar des Satans selbst – von Gott als Mittel des Heils verwendet wird? Was hat das mit Christus zu tun? Und noch wichtiger: Was sagt uns diese Geschichte über unser heutiges Leben – in einer Welt, die verwundet, krank, gespalten und oft hoffnungslos scheint?

Dieser Artikel möchte dieses Geheimnis tiefgründig, aber auch verständlich ergründen. Wir laden dich ein, die Geschichte von der ehernen Schlange mit neuen Augen zu betrachten und darin ein starkes Symbol des Kreuzes Christi, eine geistliche Wegweisung für unsere innere Heilung und eine lebendige Lektion für eine Zeit zu entdecken, die so sehr Erlösung braucht.


1. Die Geschichte in der Wüste: Mose und die eherne Schlange

Im Buch Numeri, Kapitel 21, finden wir diesen eindrucksvollen Bericht:

„Da schickte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; sie bissen das Volk, und viele Israeliten starben. Da kam das Volk zu Mose und sagte: Wir haben gesündigt, denn wir haben gegen den HERRN und gegen dich geredet. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns wegnimmt! Da betete Mose für das Volk. Der HERR sagte zu Mose: Mach dir eine feurige Schlange und befestige sie an einer Stange! Jeder, der gebissen wird und sie ansieht, soll am Leben bleiben. Da machte Mose eine eherne Schlange und befestigte sie an einer Stange. Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der ehernen Schlange aufblickte, blieb er am Leben.“
(Numeri 21, 6–9)

Diese Szene ist reich an Symbolik und mehr als ein historisches Ereignis. Sie ist eine prophetische Offenbarung über die Kraft des Glaubens, der Umkehr – und in noch tieferem Sinne – über das Geheimnis des Kreuzes.


2. Die Vorabbildung Christi in der ehernen Schlange

Jesus selbst deutet diese Szene in einem nächtlichen Gespräch mit Nikodemus:

„Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, in ihm das ewige Leben hat.“
(Johannes 3, 14–15)

Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis. Die eherne Schlange ist kein Akt des Götzendienstes, sondern eine prophetische Figur: Ein Zeichen, das auf den gekreuzigten Christus hinweist. Wie die Israeliten an den tödlichen Bissen starben, sterben auch wir geistlich durch die Sünde. Und wie sie durch den gläubigen Blick auf die erhöhte Schlange Heilung fanden, so werden wir durch den Blick auf den erhöhten Christus geheilt.

Gerade der Widerspruch im Symbol verleiht ihm seine Kraft. Gott verwandelt das Zeichen des Todes – die Schlange – in ein Werkzeug des Lebens. Ebenso verwandelt er das Kreuz – ein Instrument der Folter und Hinrichtung – in ein Zeichen der Erlösung.


3. Theologie der Heilung: Das Kreuz als Heilmittel

Die Väter der Kirche haben diesen Zusammenhang sofort erkannt. Hl. Irenäus, hl. Augustinus, hl. Gregor von Nazianz und viele andere sahen in der ehernen Schlange ein Bild des salus per crucem, des Heils durch das Kreuz. Christus, der ohne Sünde war, wird „zur Sünde gemacht“, indem er unsere Wunden auf sich nimmt.

„Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm zur Gerechtigkeit Gottes würden.“
(2 Korinther 5, 21)

Das Kreuz ist ein Heilmittel, weil es das Gift der Welt aufnimmt, um es von innen heraus zu zerstören. Wo die Sünde zu triumphieren scheint, siegt die Liebe.


4. Das Drama des modernen Menschen: Eine neue Wüste

Heute wandern viele Menschen wie die Israeliten durch die Wüste: müde, ungeduldig, voller Klagen, gebissen vom Gift des Relativismus, des Individualismus, des Grolls, der Gleichgültigkeit. Die Seele der modernen Welt leidet unter geistigen Bissen: zerbrochene Familien, Süchte, seelische Verletzungen, Depressionen, Hoffnungslosigkeit.

Und auch heute hallt der Ruf des Volkes wider: „Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns wegnimmt!“ (Num 21, 7). Das menschliche Herz schreit – auch wenn es nicht laut ausgesprochen wird – nach Heil. Die frohe Botschaft ist: Das Kreuz steht da – wie auf Golgotha –, bereit, mit Glauben betrachtet zu werden.


5. Was bedeutet es heute, „auf das Kreuz zu schauen“?

Es geht nicht nur darum, Kreuze im Haus oder um den Hals zu tragen (auch wenn das wertvoll ist), sondern darum, mit dem Herzen zu schauen, im Glauben, in der Liebe, auf das, was dort geschehen ist. Auf das Kreuz schauen heißt:

  • Anerkennen, dass die Sünde real ist und Folgen hat.
  • Annehmen, dass nur Christus unsere Wunden heilen kann.
  • Glauben, dass es Hoffnung gibt – auch im Gebrochensein.
  • Die Entscheidung treffen, anders zu leben – inspiriert von der gekreuzigten Liebe.

6. Praktische Anwendungen: Ein theologischer und pastoraler Leitfaden

A) Für jene, die mit der Sünde kämpfen

  • Gehe zum Sakrament der Versöhnung: Das ist der Blick auf das Kreuz in Demut. Es ist das Blut Christi, das reinigt.
  • Meditiere täglich vor einem Kreuz: Verweile fünf Minuten davor. Schaue hin. Sprich zu Ihm. Höre. Weine, wenn nötig.

B) Für jene, die an seelischen Wunden leiden

  • Das Kreuz ist keine Strafe, sondern ein Ort des Trostes. Vereine dein Leiden mit dem Christi. Fliehe das Leid nicht – mache es zum Gebet.
  • Suche geistliche Begleitung: Ein guter Priester oder geistlicher Begleiter kann dir helfen, das Kreuz hoffnungsvoll zu betrachten – nicht mit Angst.

C) Für die in der Pastoral oder Evangelisation Tätigen

  • Lehre andere, das Kreuz nicht als Niederlage, sondern als Quelle des Lebens zu sehen.
  • Integriere in die Katechese die Verbindung von Altem und Neuem Testament: Christus wurde von Anfang an angekündigt.

D) Für die moderne Welt

  • Die Welt braucht Zeugen, die durch Christus geheilt wurden. Sei einer davon. Verstecke deine geheilten Wunden nicht – zeige sie als Beweis, dass das Kreuz Kraft hat!

7. Eine Spiritualität des Kreuzes: Im Heil leben

Einmal hinschauen genügt nicht. Wie die Israeliten müssen auch wir immer wieder hinschauen. Und jedes Mal, wenn wir den Blick auf den gekreuzigten Christus erheben, wird etwas in uns geheilt, etwas erhellt, etwas aufgerichtet.

Es gibt kein christliches Leben ohne das Kreuz. Doch es ist ein glorreiches Kreuz, kein bitteres – ein Kreuz, das dem Leid Sinn gibt, den Himmel öffnet und den Weg mit Hoffnung erhellt.


8. Schlusswort: „Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben“

Die eherne Schlange war nicht magisch. Das Kreuz auch nicht. Aber der Glaube, der schaut, verwandelt wirklich. Heute mehr denn je müssen wir den Gekreuzigten mit neuen Augen betrachten, erkennen, dass uns dort alles geschenkt wurde, und aus dieser Gewissheit heraus leben.

„Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben.“
(Sacharja 12, 10; zitiert in Johannes 19, 37)


9. Abschließendes Gebet

Herr Jesus, Du, der am Kreuz erhöht wurdest aus Liebe,
Du, der so viele Seelen während Deines Lebens geheilt hast,
und noch mehr vom Kreuz herab,
richte Deinen barmherzigen Blick auf mich.
Lass mich nie die Augen von Dir abwenden,
und wenn ich Dich Tag für Tag betrachte,
möge mein Herz gereinigt werden,
meine Wunden geheilt,
und mein Leben verwandelt.

Amen.


Wenn dich dieser Artikel inspiriert hat, behalte ihn nicht für dich. Das Kreuz ist ein Heilmittel, und die Welt ist krank. Teile die Heilung. Lebe als jemand, der von der Kraft der gekreuzigten Liebe berührt wurde.

Über catholicus

Pater noster, qui es in cælis: sanc­ti­ficétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in cælo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in ten­ta­tiónem; sed líbera nos a malo. Amen.

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