Bitttage: Der Ruf des Volkes Gottes in Zeiten der Not

Im Laufe der Geschichte hat sich das gläubige Volk in schwierigen Zeiten dem gemeinschaftlichen Gebet zugewandt, um göttliche Hilfe zur Überwindung von Katastrophen, Dürren, Epidemien oder anderen Krisen zu erbitten. In diesem Zusammenhang entstanden die Bitttage – Tage der Fürbitte und Buße, an denen das christliche Volk seine Stimme zu Gott erhebt, um Seine Barmherzigkeit und Seinen Segen zu erflehen.

Heute, in einer Welt voller Unsicherheit, Kriege, wirtschaftlicher Krisen und wachsender Säkularisierung, gewinnen diese Gebetstage eine besondere Bedeutung. Sie sind keine vergessene Tradition der Vergangenheit, sondern eine lebendige Praxis, die uns an unsere völlige Abhängigkeit von Gott und die Kraft des gemeinschaftlichen Gebets erinnert.

Ursprung und Bedeutung der Bitttage

Das Konzept der „Rogation“ (von lateinisch rogare = bitten) hat tiefe biblische Wurzeln. Im Alten Testament finden wir zahlreiche Beispiele für kollektive Bitten an Gott in Krisenzeiten. Als König Joschafat mit einer überwältigenden militärischen Bedrohung konfrontiert war, rief er das Volk Juda zum Fasten und Beten auf, im Vertrauen auf göttliches Eingreifen:

„Wenn Unglück über uns kommt, Schwert, Strafgericht, Pest oder Hungersnot, dann wollen wir vor dieses Haus und vor dich hintreten – denn dein Name wohnt in diesem Haus –, und wir wollen in unserer Not zu dir schreien; du wirst uns erhören und retten.“ (2 Chronik 20,9)

In der christlichen Tradition wurden die Bitttage im 5. Jahrhundert offiziell eingeführt, als der heilige Mamertus, Bischof von Vienne (Frankreich), diese Tage zur Bitte um Gottes Schutz vor Erdbeben und Naturkatastrophen einführte. Bald verbreitete sich diese Praxis in der gesamten Kirche und wurde im 9. Jahrhundert von Papst Leo III. offiziell anerkannt.

Die verschiedenen Arten der Bitttage in der katholischen Tradition

Im Laufe der Geschichte hat die Kirche verschiedene Arten von Bitttagen gefeiert, jeweils mit einer spezifischen Intention:

  1. Großer Bittag (25. April): Dieser fällt mit dem Fest des heiligen Markus zusammen und hat einen bußfertigen Charakter. Es wird angenommen, dass er aus alten römischen Prozessionen stammt, bei denen um göttlichen Schutz für die Ernte gebeten wurde.
  2. Kleine Bitttage (Montag, Dienstag und Mittwoch vor Christi Himmelfahrt): Diese drei Tage des Gebets und Fastens gehen dem Hochfest Christi Himmelfahrt voraus und dienen der Bitte um den Segen für die Früchte der Erde und das Wohlergehen der Gemeinschaft.
  3. Außerordentliche Bitttage: Diese werden in besonderen Situationen ausgerufen, etwa in Zeiten des Krieges, bei Epidemien, Dürren, Hungersnöten oder Glaubenskrisen. Bischöfe können sie anordnen, wenn die Gemeinschaft mit großen Schwierigkeiten konfrontiert ist.

Die theologische Bedeutung der Bitttage

Bitttage sind keine bloßen Wiederholungen von Formeln oder Aberglauben, sondern tiefe Ausdrucksformen des christlichen Glaubens. Ihre Bedeutung beruht auf mehreren wesentlichen theologischen Aspekten:

  • Anerkennung der Souveränität Gottes: Indem wir Gottes Hilfe erbitten, erkennen wir an, dass alles Gute von Ihm kommt und dass wir ohne Seine Gnade nichts tun können (vgl. Johannes 15,5).
  • Buße und Umkehr: Viele Bitttage beinhalten Fasten und Akte der Sühne, die uns daran erinnern, dass die Sünde Konsequenzen hat und dass wir mit Demut zu Gott zurückkehren müssen.
  • Gebet in Gemeinschaft: Jesus lehrte uns, dass das gemeinschaftliche Gebet eine besondere Kraft hat: „Weiter sage ich euch: Alles, was zwei von euch auf Erden erbitten, werden sie von meinem Vater im Himmel erhalten.“ (Matthäus 18,19)
  • Vertrauen in die göttliche Vorsehung: In Zeiten der Unsicherheit laden uns die Bitttage ein, unser ganzes Vertrauen auf Gott zu setzen, in dem Wissen, dass Er uns auch in der Not beisteht.

Wie können wir die Bitttage in unser tägliches Leben integrieren?

Obwohl die Bitttage an vielen Orten in Vergessenheit geraten sind, können wir diese Tradition auf verschiedene Weise wiederbeleben:

1. Organisation von Gebetstagen in der Gemeinschaft

Pfarrgemeinden und Gebetsgruppen können in Krisenzeiten besondere Gebetsmomente einberufen. Prozessionen, Votivmessen und das Rosenkranzgebet sind hervorragende Möglichkeiten, göttliche Hilfe zu erflehen.

2. Förderung von Fasten und Buße

Ein zentraler Aspekt der Bitttage ist die persönliche Umkehr. Fasten, Abstinenz oder kleine Opfer können für die Anliegen der Kirche und der Welt dargebracht werden.

3. Gebet in der Familie

Familien können sich in schwierigen Zeiten im Gebet vereinen und um Gottes Schutz und Segen bitten. Besonders empfohlen werden das Beten von Psalm 51 (Miserere) oder Psalm 91 (Gebet des Schutzes).

4. Integration der Bitttage in die Liturgie

Priester können in Zeiten von Dürre, Krankheit oder Konflikten besondere Anliegen in die Fürbitten der Messe aufnehmen.

5. Persönliche und spirituelle Bitttage

Jeder Einzelne kann die Bitttage als persönliche Übung der Fürbitte praktizieren. In Zeiten der Not können wir uns mit Demut an Gott wenden und auf Seine barmherzige Liebe vertrauen.

Fazit: Die Rückkehr zum Gebet des Volkes Gottes

Heute mehr denn je muss die Welt wieder zu Gott rufen. Die aktuellen Krisen erinnern uns an unsere Zerbrechlichkeit und unsere Abhängigkeit von Seinem Eingreifen. Die Wiederbelebung der Bitttage ist keine Rückkehr in die Vergangenheit, sondern eine aktuelle und kraftvolle Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit.

Wenn die Menschheit sich in Demut an Gott wendet, hört Er ihr Gebet. Wie der Herr uns im Buch Joel sagt:

„Doch auch jetzt noch – Spruch des Herrn – kehrt um zu mir von ganzem Herzen, mit Fasten, Weinen und Klagen! Zerreißt eure Herzen, nicht eure Kleider, und kehrt um zum Herrn, eurem Gott! Denn Er ist gnädig und barmherzig.“ (Joel 2,12-13)

Möge dies unser Aufruf für heute sein: zu Gott zurückzukehren, mit Glauben zu bitten und darauf zu vertrauen, dass Seine Barmherzigkeit uns niemals verlässt.

Über catholicus

Pater noster, qui es in cælis: sanc­ti­ficétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in cælo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in ten­ta­tiónem; sed líbera nos a malo. Amen.

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