Apokatastasis: Werden wirklich alle gerettet? Die umstrittene Idee des Origenes

Ein theologischer und pastoraler Blick auf eine der herausforderndsten Debatten der Kirchengeschichte


Einleitung: Die Hoffnung, die beunruhigt

Ist es möglich, dass am Ende der Zeiten absolut alle – Gute und Böse, Heilige und Sünder, sogar Satan und seine gefallenen Engel – gerettet und zu Gott zurückgeführt werden? Dies ist – grob gesagt – die Idee hinter dem griechischen Begriff Apokatastasis (ἀποκατάστασις), ein Konzept, das vielen Menschen unserer heutigen Zeit, die nach Barmherzigkeit dürsten, wohltuend erscheint, das aber in der Kirchengeschichte heftige Debatten, lehramtliche Verurteilungen und tiefgehende theologische Auseinandersetzungen ausgelöst hat.

Hauptsächlich dem einflussreichen alexandrinischen Theologen Origenes (3. Jahrhundert) zugeschrieben, wurde die Apokatastasis von einigen als gefährliche Irrlehre gesehen, die den Sinn des göttlichen Gerichts in Frage stellt, von anderen hingegen als kühne Vorwegnahme der unendlichen Barmherzigkeit Gottes. In diesem Artikel betrachten wir ihre Geschichte, den theologischen Kontext, die Position des kirchlichen Lehramts und fragen uns, ob – jenseits der Kontroverse – diese Lehre heute zu einem vertieften christlichen Verständnis beitragen kann.


1. Was ist die Apokatastasis?

Der Begriff Apokatastasis bedeutet wörtlich „Wiederherstellung“, „Zurückführung“, „Rückkehr in den ursprünglichen Zustand“. In der Bibel taucht er nur ein einziges Mal auf, nämlich in der Apostelgeschichte 3,21, wo der heilige Petrus über Jesus Christus sagt:

„Ihn muss der Himmel aufnehmen bis zu der Zeit, in der alles wiederhergestellt wird (apokatastasis pantōn), wie Gott es von jeher durch den Mund seiner heiligen Propheten verkündet hat.“

Im biblischen Kontext wird diese „Wiederherstellung“ traditionell als eschatologische Erneuerung der Schöpfung, als Erfüllung der messianischen Verheißungen und als Vollendung des Gottesreiches verstanden. Doch Origenes geht weit darüber hinaus.


2. Origenes von Alexandria und die universelle Apokatastasis

Origenes (ca. 185–253 n. Chr.), einer der bedeutendsten Theologen der Patristik, entwickelte eine stark spekulative Theologie, die vom Platonismus geprägt war. In seinem Werk De Principiis (Über die Prinzipien) vertritt er die Idee, dass am Ende aller Zeiten alle vernunftbegabten Geschöpfe – selbst die Dämonen und Satan – durch einen langen Reinigungsprozess geläutert und schließlich mit Gott versöhnt würden.

Diese universelle Wiederherstellung verneinte für Origenes nicht die Existenz der Hölle, verstand sie jedoch als zeitlich begrenzte, heilende Strafe. Die Apokatastasis war für ihn keine Ablehnung der göttlichen Gerechtigkeit, sondern die Hoffnung, dass Gottes Liebe letztlich jede Sünde überwinden könne.

Was motivierte diese radikale Hoffnung?

  • Der Glaube an die absolute Güte Gottes.
  • Die Freiheit der vernunftbegabten Wesen, die zur freiwilligen Rückkehr zu Gott berufen sind.
  • Die Unvereinbarkeit einer ewigen Strafe mit einem Gott, der unendliche Liebe ist.

Diese Sichtweise stieß jedoch in der Kirche auf große Skepsis.


3. Die Verurteilung der Apokatastasis: Das Zweite Konzil von Konstantinopel

Im 6. Jahrhundert verurteilte das Zweite Konzil von Konstantinopel (553 n. Chr.) – wenn auch in etwas unklarer Form – einige Lehren des Origenes. In den dem Konzil zugeschriebenen „Anathemen“ heißt es:

„Wenn jemand sagt oder glaubt, dass die Strafe der Dämonen und der gottlosen Menschen zeitlich begrenzt sei und ein Ende habe und dass es eine Wiederherstellung (Apokatastasis) der Dämonen und der Gottlosen geben werde, der sei mit dem Anathema belegt.“

Damit wurde die Lehre der universellen Apokatastasis aus der katholischen Orthodoxie ausgeschlossen. Die Kirche bekräftigte damit das Dogma des endgültigen Gerichts, die reale Möglichkeit der ewigen Hölle und die Schwere der Sünde, die frei gegen Gott gewählt wird.


4. Was sagt der Katechismus der Katholischen Kirche?

Der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) äußert sich in seiner Lehre über das Endgericht und das ewige Schicksal der Seelen eindeutig:

„In der Todsünde zu sterben, ohne sie bereut zu haben und ohne die barmherzige Liebe Gottes anzunehmen, bedeutet, durch die eigene freie Wahl für immer von ihm getrennt zu bleiben. Dieser Zustand endgültiger Selbst-Ausschließung aus der Gemeinschaft mit Gott und den Seligen wird ‚Hölle‘ genannt“ (KKK 1033).

Zur Möglichkeit einer endgültigen Wiederherstellung aller schweigt der Katechismus. Das heißt, er äußert sich nicht dazu, ob alle gerettet werden – aber er bekräftigt, dass die ewige Verdammnis möglich ist, und dass diese aus der freien Entscheidung des Menschen resultiert, nicht aus einem göttlichen Willkürakt.


5. Die theologische Spannung: Gerechtigkeit und Barmherzigkeit

Die Kontroverse um die Apokatastasis berührt den Kern einer der größten theologischen Spannungen: Wie lässt sich die Gerechtigkeit Gottes mit seiner unendlichen Barmherzigkeit in Einklang bringen?

Einerseits:

  • Gott respektiert unsere Freiheit radikal.
  • Es gibt Menschen, die die Gnade, die Vergebung und die Umkehr ablehnen.
  • Das Gericht ist real und endgültig.

Andererseits:

  • Gott „will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4).
  • Christus ist „für alle gestorben“ (2 Kor 5,15).
  • Gottes Barmherzigkeit ist unermesslich und übersteigt unsere Vorstellungen.

Kann eine unendliche Liebe eine unendliche Verdammnis zulassen? Oder wird es letztlich so sein, dass „Gott alles in allem sein wird“ (1 Kor 15,28)? Die Apokatastasis versucht, diese Spannung aufzulösen… vielleicht etwas zu voreilig.


6. Pastorale Perspektive: Wie soll man heute über Apokatastasis sprechen?

In einer Welt, die von Nihilismus, Hoffnungslosigkeit und Sinnverlust geprägt ist, klingt die Idee einer universellen Erlösung tröstlich. Doch wir müssen uns fragen, ob eine solche Hoffnung – falsch verstanden – nicht die Dringlichkeit der Umkehr verharmlost.

Papst Benedikt XVI sagte:

„Barmherzigkeit ist keine billige Gnade. Sie hebt die Forderung nach Gerechtigkeit nicht auf, sondern verwandelt sie von innen heraus.“

Aus pastoraler Sicht ergeben sich drei kluge Grundhaltungen:

  1. Verzweifle nie an jemandem. Wir dürfen nie behaupten, jemand sei verdammt. Die Kirche spricht Heilige aus, aber keine Verdammten. Das lässt Raum für Hoffnung.
  2. Verharmlose die Sünde nicht. Eine weichgezeichnete Sicht auf die Hölle kann dazu führen, die Schwere des Bösen, die Notwendigkeit der Umkehr und die Ernsthaftigkeit unserer Entscheidungen zu unterschätzen.
  3. Hoffe mit Vertrauen, bete mit Demut. Wir dürfen hoffen, dass viele – vielleicht alle – gerettet werden. Aber ohne Anmaßung oder Dogmatismus. Was nicht offenbart ist, darf nicht als sicher gelehrt werden.

7. Apokatastasis und christliches Leben: Was tun mit dieser Idee?

Auch wenn die Apokatastasis als universelle Lehre von der Kirche verworfen wurde, lädt ihr Gedankengut dazu ein, bestimmte Haltungen im geistlichen Leben zu erneuern:

  • Tiefe Ehrfurcht vor dem Geheimnis Gottes. Nicht alles ist uns offenbart. Das Gericht liegt in Gottes Hand.
  • Liebe und Gebet für die Sünder. Wie Christus sollen wir die Rettung aller wünschen – auch derjenigen, die uns unrettbar erscheinen.
  • Ständige Umkehr. Lebe so, als wäre heute dein letzter Tag – nicht in Angst, sondern in brennender Liebe.
  • Unerschütterliches Vertrauen auf die Barmherzigkeit. Auch wenn es ein Gericht gibt: Gottes Herz ist größer als unsere Sünde.

8. Schlussfolgerung: Eine Hoffnung, die die Wahrheit nicht ausschließt

Die Apokatastasis, wie sie von Origenes formuliert wurde, ist mit der katholischen Lehre unvereinbar. Dennoch kann die dahinterliegende Intuition – dass Gott niemanden aufgibt, ohne zuvor alle Möglichkeiten seiner Liebe ausgeschöpft zu haben – mit Demut und Offenheit bedacht werden.

Papst Johannes Paul II sagte:

„Die Hölle ist nicht leer, aber wir wissen nicht, wer dort ist.“

Und Papst Benedikt XVI ergänzte in einer seiner Predigten:

„Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind keine Gegensätze, sondern das pulsierende Herz derselben göttlichen Liebe.“

Unsere Hoffnung gründet sich letztlich nicht auf eine spekulative Theologie, sondern auf Christus, den Richter und Retter, der sein Leben für alle hingegeben hat. Leben wir also als Kinder des Lichts, im Bewusstsein, dass jede Seele das Blut Gottes wert ist… und dass das Gericht nicht mehr sein wird als die Offenbarung unserer Liebe oder unserer Zurückweisung dieses unendlichen Geschenks.


„Fürchtet euch nicht! Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20).
Das ist die wahre Apokatastasis: kein automatisches Heil für alle, sondern eine Liebe, die niemals müde wird zu suchen, einzuladen, zu warten… bis zum letzten Atemzug.

Über catholicus

Pater noster, qui es in cælis: sanc­ti­ficétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in cælo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in ten­ta­tiónem; sed líbera nos a malo. Amen.

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