„Tut dies zu meinem Gedächtnis“: Das Geheimnis der Anamnese und ihre Kraft in unserem Leben

Der katholische Glaube ist reich an Begriffen und Konzepten, die auf den ersten Blick schwer verständlich erscheinen mögen. Doch wenn wir uns mit ihnen auseinandersetzen, entdecken wir ihre tiefe geistliche Bedeutung. Einer dieser Begriffe ist „Anamnese“, ein Wort griechischen Ursprungs (ἀνάμνησις), das „Erinnerung“ oder „Gedächtnis“ bedeutet. Im liturgischen und theologischen Kontext geht seine Bedeutung jedoch weit über eine bloße Erinnerung hinaus: Es handelt sich um eine reale und lebendige Teilnahme an den Geheimnissen Christi.

Wenn der Priester während der Heiligen Messe die Worte Jesu beim Letzten Abendmahl wiederholt – „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ (Lk 22,19; 1 Kor 11,24-25) –, dann ruft er die Anamnese an, diesen heiligen Akt, durch den das Opfer Christi am Kreuz für uns gegenwärtig und real wird. Doch was bedeutet das wirklich? Und wie können wir die Anamnese in unserem täglichen Leben verwirklichen?

1. Anamnese: Mehr als eine Erinnerung, eine lebendige Gegenwart

In der modernen Kultur ist Erinnern oft eine mentale oder emotionale Handlung. Wir denken an glückliche Momente, bedeutende Daten und geliebte Menschen zurück. Doch in der katholischen Theologie ist Anamnese weit mehr als eine bloße Gedächtnisübung. Sie ist ein „Vergegenwärtigen“ einer göttlichen Realität, die Zeit und Raum übersteigt.

In der Heiligen Messe ist die Anamnese das Herz des eucharistischen Geheimnisses: Wir erinnern uns nicht nur an das Leiden, den Tod und die Auferstehung Christi – wir nehmen tatsächlich und sakramental daran teil. Das bedeutet, dass wir bei jeder Messe nicht einfach etwas vergegenwärtigen, das vor über 2000 Jahren geschehen ist, sondern dass wir in dieses eine Opfer der Liebe eintreten, in das ewige „Jetzt“ Gottes.

Der heilige Johannes Paul II. hat dies in seiner Enzyklika Ecclesia de Eucharistia wunderschön ausgedrückt:

„Die Kirche lebt von der Eucharistie. Diese Wahrheit drückt nicht nur eine tägliche Glaubenserfahrung aus, sondern fasst in gewisser Weise das Herzgeheimnis der Kirche zusammen.“ (EE 1)

Jede Heilige Messe ist also eine Vergegenwärtigung des erlösenden Opfers Christi. Es handelt sich dabei weder um eine Wiederholung noch um eine neue Kreuzigung, sondern um eine Teilnahme an dem einen, einzigartigen und ewigen Opfer des Kreuzes, das immer vor Gott gegenwärtig ist.

2. „Tut dies zu meinem Gedächtnis“: Ein Gebot und eine Sendung

Als Jesus die Eucharistie einsetzte, tat er dies nicht als bloße symbolische Geste. Seine Worte, „Tut dies zu meinem Gedächtnis“, sind ein klarer Auftrag an seine Apostel und in der Folge an die gesamte Kirche. Dieses Gebot hat eine doppelte Bedeutung:

  1. Liturgisch: Es ist der Auftrag, die Eucharistie bis zum Ende der Zeiten zu feiern, um sicherzustellen, dass sein Opfer und seine Gegenwart immer bei uns bleiben.
  2. Existentiell: Es ruft uns dazu auf, unser Leben als ständige Hingabe an Gott zu leben, an seiner erlösenden Liebe teilzuhaben und sie in der Welt widerzuspiegeln.

Mit anderen Worten: Die Anamnese ist nicht nur ein Akt, der auf dem Altar geschieht – sie muss uns verwandeln und uns dazu drängen, als wahre Jünger Christi in der Welt zu leben.

3. Die Anamnese in unserem täglichen Leben leben

Wie können wir dieses Geheimnis in unseren Alltag integrieren? Hier sind einige konkrete Wege:

a) Voll und ganz an der Heiligen Messe teilnehmen

Die Eucharistie ist kein leeres Ritual oder eine bloße Tradition. Sie ist der Moment, in dem Himmel und Erde sich vereinen und Christus selbst sich uns als Nahrung schenkt. Mit Glauben und Hingabe an jeder Messe teilzunehmen, ist der direkteste Weg, die Anamnese zu leben.

b) Unser Leben zu einem Opfer machen

Wenn wir in der Messe mit dem Opfer Christi vereint werden, dann muss auch unser Leben eine ständige Opfergabe an Gott sein. Der heilige Paulus drückt dies klar aus:

„Ich ermahne euch also, Brüder und Schwestern, bei der Barmherzigkeit Gottes, eure Leiber als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst.“ (Röm 12,1)

Jede Tat der Liebe, jedes Opfer, das wir demütig darbringen, jeder Moment, in dem wir unser Ego zurückstellen, um andere zu lieben, ist eine Weise, die Anamnese zu leben.

c) Mit dem Herzen erinnern und mit den Händen handeln

Es genügt nicht, sich daran zu erinnern, was Jesus getan hat – wir müssen handeln. Wahres christliches Erinnern ist transformierend. Wenn wir uns an die völlige Selbsthingabe Christi erinnern, dann sind wir dazu berufen, sie in unserem täglichen Leben nachzuahmen:

  • Indem wir denen vergeben, die uns verletzt haben.
  • Indem wir den Bedürftigen helfen.
  • Indem wir in Übereinstimmung mit unserem Glauben leben.

Anamnese ist letztlich eine Einladung, ein „anderer Christus“ in der Welt zu sein.

4. Anamnese in der modernen Welt: Eine Herausforderung und eine Hoffnung

Wir leben in einer Welt, die uns oft dazu drängt, Gott zu vergessen. Die Kultur des Konsums, der Schnelllebigkeit und der Oberflächlichkeit kann uns die Tiefe unseres Glaubens aus den Augen verlieren lassen. Doch gerade in diesem Kontext ist die Anamnese umso dringlicher und notwendiger.

  • Sich daran zu erinnern, wer wir in Christus sind, gibt uns Identität und Sinn.
  • Die Teilnahme an der Eucharistie erfüllt uns mit der Gnade, die wir brauchen, um den Herausforderungen der Welt zu begegnen.
  • Ein Leben der Hingabe macht uns zu einem Licht für andere.

Jesus hat uns dieses Gebot hinterlassen, weil er wusste, dass wir es brauchen. Sein „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ ist eine Einladung, immer wieder zur Quelle der Liebe zurückzukehren, in sein Geheimnis einzutreten und verwandelt daraus hervorzugehen, um die Welt zu verändern.

Fazit: Mit Christus vereint, um der Welt Leben zu schenken

Die Anamnese ist kein theoretisches Konzept oder nur ein theologischer Begriff. Sie ist der Schlüssel zum Verständnis unseres Glaubens und unserer Sendung. Jede Heilige Messe taucht uns in das Geheimnis der göttlichen Liebe ein und befähigt uns, sie weiterzugeben.

Heute sagt Christus uns erneut: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Er lädt uns nicht nur ein, seinen Leib und sein Blut zu empfangen, sondern auch, unser Leben zu einem Abbild seiner Selbsthingabe zu machen.

Sind wir bereit, diese Einladung anzunehmen?

Möge jede Eucharistie für uns eine lebendige Begegnung mit dem Herrn sein, und möge unser ganzes Leben eine Anamnese sein, die Gott verherrlicht.

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Pater noster, qui es in cælis: sanc­ti­ficétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in cælo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in ten­ta­tiónem; sed líbera nos a malo. Amen.

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