Wenn zu viel „Güte“ Hochmut ist: Die Arroganz des Selbstopfers und die exhibitionistische Tugend

Wenn das „Gut-sein-Wollen“ zur Selbstvergötterung wird


EINLEITUNG: Die Falle des scheinbaren Guten

Wir leben in einer Zeit, in der soziale Netzwerke, öffentliche Selbstdarstellung und das Bedürfnis nach Anerkennung selbst die tiefsten spirituellen Räume verunreinigt haben. In diesem Kontext verwandelt sich die Tugend – die eigentlich diskret, demütig und still sein sollte – leicht in ein Spektakel. Manchmal, ohne es zu merken, benutzen wir unsere guten Taten nicht als Dienst am Nächsten und zur Ehre Gottes, sondern als Nahrung für unsere Eitelkeit.

Kann eine scheinbar gütige Person aus Hochmut handeln? Kann persönliches Opfer zu einem Altar werden, auf dem das eigene Ego angebetet wird? Kann eine gut ausgeübte Tugend eine ungeordnete Absicht verbergen?

Die Antwort lautet: ja. Und die Geschichte des Christentums ist voll von Beispielen, Warnungen und Lehren zu diesem Thema. Dieser Artikel lädt dazu ein, nach innen zu blicken und mit Hilfe des Glaubens und der Vernunft zu prüfen, ob unsere „Güte“ echte Tugend ist oder nur eine gut gefertigte Maske, um einen tief verborgenen Hochmut zu verdecken.


I. Tugend zeigt sich nicht – sie wird gelebt

Die christliche Tugend, wie sie von der Tradition der Kirche gelehrt wird, ist nichts, was man wie eine Medaille zur Schau stellt. Sie ist vielmehr eine Haltung der Seele, die verborgen bleibt – wie ein Samen unter der Erde –, aber sichtbare Früchte in Form von Nächstenliebe, Demut und Dienst hervorbringt.

Jesus sprach sehr deutlich zu den Pharisäern, deren Verhalten dieses Thema perfekt illustriert:

„Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zu tun, um von ihnen gesehen zu werden; sonst habt ihr keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.“
Matthäus 6,1

Die „Gerechtigkeit“, von der Jesus spricht, meint nicht nur Gesetzestreue, sondern die Gesamtheit der Tugenden und guten Werke. Die Warnung gilt nicht dem guten Handeln an sich, sondern der Absicht, gesehen zu werden. Und hier liegt das Kernproblem: das verborgene Motiv.


II. Wenn das Gute korrumpiert wird: exhibitionistische Tugend

Exhibitionistische Tugend ist keine wahre Tugend, sondern eine perverse Nachahmung. Sie ist gekennzeichnet durch:

  • Das Streben nach Anerkennung statt dem Gehorsam gegenüber Gott.
  • Die Betonung des eigenen Opfers, in der Hoffnung auf Bewunderung oder Mitleid.
  • Die Annahme der Rolle eines Märtyrers, ohne wirklich aus Liebe gekreuzigt worden zu sein.
  • Kontrolle durch das Gute, indem andere sich schuldig oder verpflichtet fühlen.

Dieses Phänomen zeigt sich oft in familiären, gemeinschaftlichen oder kirchlichen Umfeldern, in denen jemand „sich für alle aufopfert“, aber im Stillen Anerkennung erwartet. Diese Art von „Selbstopfer“ ist häufig eine subtile Form von Manipulation: Es wird Gutes getan, aber nicht aus Liebe, sondern um emotionale Macht zu gewinnen.


III. Geschichte und Tradition: falscher Asketismus

Seit ihren Anfängen musste sich die Kirche mit spirituellen Abirrungen auseinandersetzen. Eine davon ist der falsche Askese-Gedanke: die Vorstellung, dass mehr Leiden gleich mehr Heiligkeit bedeutet. Dies führte dazu, dass sich manche unnötige Opfer auferlegten – nicht aus Liebe zu Gott, sondern um sich als „heiliger“ darzustellen.

Der heilige Augustinus kämpfte entschieden gegen solche Haltungen und lehrte, dass das wahre Opfer ein inneres sei: „Die wahre Selbstverleugnung ist jene, die sich nicht zeigt, aber das Herz verwandelt.“

Auch die Wüstenväter erzählten Anekdoten von Mönchen, die sich im Wunsch, tugendhaft zu erscheinen, selbst dem Hochmut auslieferten. Einer von ihnen sagte:

„Es gibt solche, die so streng fasten, dass sie voll von Dämonen des Stolzes sind. Das Fasten bläht ihre Brust auf, aber es öffnet ihre Seele nicht für die Gnade.“


IV. Theologie des verkleideten Hochmuts

Der geistliche Hochmut ist eine der gefährlichsten Sünden, gerade weil er sich hinter der Tugend versteckt. Der heilige Thomas von Aquin warnt, dass der Hochmut die Wurzel aller Sünden sei, da er die Unordnung der Seele ist, die sich weigert, sich Gott zu unterwerfen.

Wenn jemand sich „für alle“ aufopfert, aber dann Groll empfindet, weil er keine Anerkennung erhält, zeigt er den wahren Antrieb seines Handelns: das Ego. Nicht Gott war das Ziel seines Einsatzes, sondern sein eigenes Selbstwertgefühl.

Das heißt nicht, dass man aufhören sollte, Gutes zu tun. Es geht um die Absicht:
Tun wir das Gute, weil wir wirklich Gott und unseren Nächsten lieben – oder weil wir uns gebraucht, wichtig oder überlegen fühlen wollen?

Die heiligmachende Gnade wirkt im Verborgenen, sie braucht kein Rampenlicht und keinen Applaus. Der heilige Franz von Sales sagte:

„Die Demut ist die Mutter aller Tugenden. Ohne sie sind selbst unsere besten Werke verdächtig.“


V. Praktische pastorale Anwendungen: unsere „Güte“ prüfen

Ein konkreter geistlicher Leitfaden, um dieser Falle zu entgehen, könnte beinhalten:

  1. Unsere Absichten prüfen: Warum tue ich das? Würde ich es tun, wenn niemand es erfährt?
  2. Nicht über unsere Opfer sprechen: Ein Opfer, das Gott dargebracht wird, braucht keine Erzählung.
  3. Annehmen, nicht gedankt zu bekommen: Wenn du es aus Liebe getan hast, sollte Undank dich nicht stören.
  4. Die Sünden des geistlichen Hochmuts beichten: Es reicht nicht, „nichts Böses zu tun“ – wir müssen auch die Wurzel unseres „Guten“ prüfen.

Auch im gemeinschaftlichen Leben ist es entscheidend, zu erkennen, wann jemand „hilft“ oder „dient“, aber Spannungen, Groll und Spaltungen erzeugt, weil seine Güte in eine Art moralischer Überlegenheit umschlägt. Das zerstört die Gemeinschaft und schadet dem mystischen Leib Christi.


VI. Der Weg der wahren Tugend: Demut und Liebe

Die Lösung besteht nicht darin, mit dem Guten aufzuhören, sondern darin, das Herz zu reinigen. Die Tugend verschwindet nicht aus Angst vor dem Hochmut – sie wird stärker, wenn sie von Demut begleitet wird. Der wahre Heilige ist derjenige, der sich selbst als unnützen Diener betrachtet, selbst nachdem er alles getan hat, was er tun sollte (vgl. Lukas 17,10).

Christus, unser vollkommenes Vorbild, hat sich nie in Szene gesetzt. Seine Wunder gingen oft einher mit der Aufforderung: „Erzähl es niemandem.“ In Getsemani, als Er sein Leben für uns hingab, rief Er es nicht in die Welt hinaus, sondern lebte es im Dunkel des Verlassenwerdens – nur dem Vater anvertraut.


SCHLUSS: Die Herausforderung innerer Reinheit

In einer Zeit, in der alles veröffentlicht, gemessen und verglichen wird, ist wahre Demut ein innerer Widerstand. Heiligkeit bemisst sich nicht an der Menge der Opfer, die man anhäuft, noch an der Güte, die alle beklatschen, sondern an der Fähigkeit, zu verschwinden, damit Christus wachsen kann (vgl. Johannes 3,30).

Es ist Zeit, unsere Art, Gutes zu tun, zu reinigen. Mögen unsere Werke kein Mittel sein, unser eigenes Bild zu vergöttern, sondern ein wahrer Spiegel der Liebe Gottes, der gibt, ohne etwas zu erwarten, liebt, ohne zu fordern, und dient, ohne Werbung.

„Dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird es dir vergelten.“
Matthäus 6,6


Impulse für dein persönliches Gebet:

  • Welche verborgenen Motive stecken hinter meinen „guten“ Taten?
  • Stört es mich, wenn ich nicht anerkannt oder bedankt werde?
  • Diene ich wirklich Gott – oder nähre ich mein Ego?

Bitte Gott, dir ein reines Herz zu schenken, frei von Eitelkeit und ganz auf die Liebe ausgerichtet. Damit du mit dem heiligen Paulus sagen kannst:

„Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“
Galater 2,20


„Tu das Gute. Tu es im Stillen. Tu es für Gott.“

Über catholicus

Pater noster, qui es in cælis: sanc­ti­ficétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in cælo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in ten­ta­tiónem; sed líbera nos a malo. Amen.

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