Seit den Anfängen des Christentums erklingt in den Gebeten und Liturgien der Gläubigen eine kurze, aber kraftvolle Bitte: „Kyrie Eleison“, was auf Griechisch „Herr, erbarme dich“ bedeutet. Diese Worte haben Jahrhunderte, Kulturen und Traditionen überdauert und sind bis heute in der Kirche lebendig. Doch was bedeutet diese Anrufung wirklich? Warum ist sie auch heute noch so relevant?
In diesem Artikel erkunden wir den Ursprung, die Entwicklung und die tiefgreifende spirituelle Bedeutung von „Kyrie Eleison“ und wie wir es in unser Glaubensleben im 21. Jahrhundert integrieren können.
1. Biblischer Ursprung und jüdische Wurzeln
Obwohl „Kyrie Eleison“ in seiner griechischen Form bekannt ist, reicht sein Wesen bis in die jüdische Tradition des Alten Testaments zurück. Zahlreiche Male flehen die Menschen Israels um Gottes Barmherzigkeit:
„Gott, sei mir gnädig nach deiner Huld!“ (Psalm 51,3).
Das hebräische Wort für „Barmherzigkeit“ (rahamím) ist tief mit der Vorstellung von Gottes zärtlicher Liebe verbunden, ähnlich der Liebe einer Mutter. Das Flehen um Barmherzigkeit ist nicht nur ein Akt der Reue, sondern auch ein Ausdruck des Vertrauens in die Güte des Herrn.
Im Neuen Testament finden wir diese Anrufung auf den Lippen derer, die Heilung von Christus erbitten:
„Herr, erbarme dich über meinen Sohn, denn er ist mondsüchtig und leidet schwer.“ (Matthäus 17,15).
Diese Rufe sind nicht nur verzweifelte Bitten, sondern Glaubensbekenntnisse an die rettende Macht Jesu.
2. „Kyrie Eleison“ in der Liturgie: Von den frühen Christen bis heute
Die ersten Jahrhunderte
Die ersten Christen, beeinflusst von der griechischen Liturgiesprache, übernahmen das „Kyrie Eleison“ in ihre gemeinsamen Gebete. Der heilige Justin der Märtyrer (2. Jh.) erwähnt in seinen Schriften, dass die Gläubigen es in der eucharistischen Liturgie rezitierten.
Später, im 4. Jahrhundert, wurde diese Anrufung offiziell in die römische Messe aufgenommen, insbesondere in die Liturgie des Wortes. Trotz des Wechsels zur lateinischen Sprache blieb das „Kyrie Eleison“ in seiner ursprünglichen griechischen Form erhalten – eine der wenigen Stellen in der Messe, die nicht ins Lateinische übersetzt wurden.
Das „Kyrie“ in der traditionellen Messe und der Liturgiereform
In der tridentinischen Messe wird das „Kyrie“ dreimal wiederholt:
- Kyrie Eleison (Herr, erbarme dich) x3
- Christe Eleison (Christus, erbarme dich) x3
- Kyrie Eleison (Herr, erbarme dich) x3
Diese dreifache Struktur ist nicht zufällig: Sie spiegelt die Anrufung des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes wider.
Mit der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil blieb das „Kyrie“ in der Novus-Ordo-Messe erhalten, jedoch mit größerer Flexibilität in der Wiederholung und der Möglichkeit, es in der Landessprache zu singen. Dennoch bleibt seine tiefe Bedeutung unverändert: ein Akt der Demut und des Vertrauens in Gott.
3. Die spirituelle Bedeutung von „Kyrie Eleison“
Mehr als nur eine liturgische Formel ist das „Kyrie Eleison“ ein Schrei der Seele. Es fasst drei wesentliche Haltungen des christlichen Lebens zusammen:
- Das Eingeständnis unserer Abhängigkeit von Gott
In unserer modernen Zeit neigt der Mensch dazu, sich für selbstgenügsam zu halten. Doch das „Kyrie“ erinnert uns daran, dass wir Geschöpfe sind, die auf die göttliche Gnade angewiesen sind. Wir können uns nicht selbst erlösen. - Der Glaube an Gottes unendliche Barmherzigkeit
Gott wird niemals müde, zu vergeben. Wie uns der Prophet Micha sagt:„Wer ist ein Gott wie du, der Schuld vergibt und Vergehen verzeiht?“ (Micha 7,18).Das Beten des „Kyrie“ ist ein Akt des Vertrauens in Gottes Liebe, die uns trotz unserer Fehler annimmt. - Die Fürbitte für die Welt
Wir bitten nicht nur um Barmherzigkeit für uns selbst, sondern auch für die Kirche und die ganze Welt. Das „Kyrie Eleison“ ist ein universeller Ruf zur Umkehr und zum Frieden.
4. Das „Kyrie“ im heutigen christlichen Leben
In einer Welt voller Lärm, Hektik und Unsicherheit wird das „Kyrie Eleison“ zu einem kurzen, aber kraftvollen Gebet, das jederzeit gesprochen werden kann.
Wie können wir es in unser Gebetsleben integrieren?
- Als häufiges Stoßgebet: „Herr, erbarme dich“ in Momenten der Prüfung oder Not.
- In der eucharistischen Anbetung: Ein Akt der Demut und Anerkennung der Größe Gottes.
- Beim Beten des Rosenkranzes: Als Anrufung in jedem Geheimnis.
- Vor dem Schlafengehen: Um Gottes Barmherzigkeit für den vergangenen Tag zu bitten.
Eine interessante Anekdote betrifft den heiligen Pfarrer von Ars, Johannes Maria Vianney. Er sah einen Bauern in der Kirche beten und fragte ihn, was er zu Gott sage. Der Mann antwortete: „Nichts, ich schaue ihn an und er schaut mich an.“
Etwas Ähnliches geschieht mit dem „Kyrie Eleison“: Manchmal braucht es nicht viele Worte – nur eine aufrichtige Bitte, die alles ausdrückt.
Fazit: Ein Ruf, der immer aktuell bleibt
Das „Kyrie Eleison“ ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern ein Gebet von bleibender Relevanz. In einer Gesellschaft, die oft Gottes Barmherzigkeit vergisst, erinnert uns dieser Ruf daran, dass wir immer zu ihm zurückkehren können.
Wenn die Welt uns erdrückt, wenn die Sünde uns belastet, wenn uns die Worte zum Beten fehlen, lasst uns einfach sagen:
„Herr, erbarme dich.“
Und vertrauen wir darauf, dass, so wie der blinde Bartimäus auf der Straße zu Jesus schrie und erhört wurde, auch wir erhört werden.
„Jesus blieb stehen und ließ ihn rufen … ‚Was willst du, dass ich dir tue?‘“ (Markus 10,49-51).
Auch heute noch hört der Herr uns. Mögen wir niemals aufhören, mit Glauben zu sagen: „Kyrie Eleison.“