Einleitung: Eine alte Berufung neu entdecken für eine Kirche im Aufbruch
In Zeiten des Wandels, der Krise und der Hoffnung für die Kirche lohnt es sich, den Blick auf eine der ältesten, aber oft missverstandenen Gestalten des kirchlichen Dienstes zu richten: den Diakon. Oft reduziert auf eine Übergangsstufe vor dem Priestertum oder verwechselt mit einem „liturgischen Assistenten“, ist das diakonale Amt in Wirklichkeit eine eigenständige Berufung mit apostolischen Wurzeln und einer wesentlichen Rolle im Leben der Kirche.
Dieser Artikel möchte dir helfen, zu verstehen, wer der Diakon ist, was seine theologische und pastorale Rolle ist und warum seine Gegenwart heute notwendiger ist denn je. Aus einer traditionellen Perspektive, erleuchtet vom Zweiten Vatikanischen Konzil und dem Lehramt der Kirche, aber auch aus der pastoralen Realität des 21. Jahrhunderts, wollen wir den Platz des Diakons als Zeuge des dienenden Christus mitten im Volk Gottes erkunden.
1. Was ist ein Diakon? Eine Berufung an sich
Das Wort Diakon stammt vom griechischen διάκονος (diákonos), was Diener bedeutet. Dieser Begriff ist kein bloßer funktionaler Titel, sondern drückt eine Berufung und kirchliche Identität aus: Der Diakon ist sakramental Christus, dem Diener, gleichgestaltet, wie es in Lumen Gentium heißt: „nicht zum Priestertum, sondern zum Dienst“ (LG 29).
Es gibt zwei Formen des Diakonats in der Kirche:
- Den transitorischen Diakonat, den Seminaristen als vorbereitende Stufe vor der Priesterweihe ausüben.
- Den ständigen Diakonat, der durch das Zweite Vatikanische Konzil wiederhergestellt wurde, auch für verheiratete Männer offen ist und eine dauerhafte Berufung darstellt.
Beide Formen empfangen jedoch denselben Weihesakrament in seiner ersten Stufe.
2. Biblische Grundlagen: Die apostolischen Ursprünge des Diakonats
Der Diakonat ist keine moderne Erfindung. Seine Wurzeln liegen in der Heiligen Schrift. In der Apostelgeschichte wird von der Einsetzung von „sieben Männern von gutem Ruf“ berichtet, die für den Dienst an den Tischen und die Fürsorge für Witwen bestimmt wurden, damit sich die Apostel dem Gebet und der Verkündigung widmen konnten:
„Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns um die Verteilung der Speisen kümmern. […] Darum, Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit. Ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen“ (Apg 6, 2–3).
Unter ihnen war der heilige Stephanus, der erste christliche Märtyrer, sowie der heilige Philippus, der einen Äthiopier bekehrte. Das zeigt, dass der Dienst des Diakons sowohl eine karitative als auch eine missionarische Dimension umfasst.
Der heilige Paulus erwähnt in seinen Briefen die Diakone neben den Bischöfen als strukturellen Bestandteil der christlichen Gemeinden (vgl. Phil 1,1; 1 Tim 3,8–13).
3. Theologie des Diakonats: Christus dem Diener gleichgestaltet
Der Diakon empfängt das Sakrament der Weihe in seiner ersten Stufe. Auch wenn er kein Priester ist, wird er geweiht, um Christus in seiner dienenden Dimension zu repräsentieren. Der Katechismus der Katholischen Kirche lehrt:
„Die Diakone nehmen in besonderer Weise Anteil an der Sendung und Gnade Christi. Das Weihesakrament prägt sie mit einem unauslöschlichen Siegel (‚Charakter‘), das sie Christus gleichgestaltet, der sich zum ‚Diakon‘, d. h. zum Diener aller gemacht hat“ (KKK, 1570).
Das bedeutet, dass der Diakon nicht nur etwas „tut“, sondern etwas „ist“: ein lebendiges Bild des Christus, der die Füße wäscht, die Armen willkommen heißt, das Evangelium verkündet und sein Leben hingibt.
Der Theologe und Kardinal Henri de Lubac sagte, die Kirche sei umso glaubwürdiger, je diakonaler sie ist, also je mehr sie sich zum Diener der Menschheit macht.
4. Liturgische und pastorale Aufgaben des Diakons
Der Codex des kanonischen Rechts (can. 1008–1009) und lehramtliche Dokumente nennen klar die Aufgaben, die ein Diakon ausüben darf:
a) In der Liturgie:
- Verkündigung des Evangeliums in der Messe.
- Predigen der Homilie.
- Spenden des Taufsakraments.
- Assistenz und Segnung von Eheschließungen.
- Leitung von Begräbnissen und Wort-Gottes-Feiern.
- Austeilung der Eucharistie und Aussetzung des Allerheiligsten Sakraments.
Der Diakon kann nicht die Eucharistie konsekrieren noch Beichten hören, da diese Aufgaben dem priesterlichen Amt vorbehalten sind.
b) In der Pastoral:
- Koordination karitativer Werke auf Pfarrei- oder Diözesanebene.
- Besuch von Kranken, Alten, Gefangenen und Armen.
- Missionarische und katechetische Tätigkeit.
- Ausbildung von Laien und pastoralen Mitarbeitern.
- Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden.
5. Der ständige Diakonat: Ein Reichtum für die Kirche
Obwohl seine Wiederherstellung erst kürzlich erfolgte (1967 durch Paul VI.), hat der ständige Diakonat eine jahrhundertelange Geschichte und ist heute eine der fruchtbarsten Antworten auf die Erneuerung des pastoralen Wirkens der Kirche.
Der ständige Diakon, insbesondere wenn er verheiratet ist, lebt in der Welt: Er hat eine Familie, einen zivilen Beruf und fungiert als Brücke zwischen Altar und Straße, zwischen Pfarrei und Nachbarschaft. Diese Verwurzelung macht ihn zu einer prophetischen Präsenz, die Christus an die Ränder der Gesellschaft bringt.
Papst Franziskus hat betont, dass Diakone weder „halbe Priester“ noch „Mini-Messdiener in Ehrenfunktion“ sind, sondern Hüter des Dienstes in der Kirche. Im Jahr 2021 sagte er:
„Der Diakonat ist eine spezifische Berufung, ein Ruf zum Dienst, kein ‚Hintereingang‘ zum Priestertum.“
6. Ein lebendiges Zeugnis: Zeichen des Reiches in der Welt
Stellen wir uns einen Diakon vor, der Kranke im Krankenhaus besucht, an der Sonntagsmesse predigt und morgens als Ingenieur oder Lehrer arbeitet. Oder einen anderen, der von seiner Pfarrei aus ein Netzwerk für Lebensmittelhilfe koordiniert und junge Ehepaare begleitet.
Beide machen die Gegenwart Christi des Dieners sichtbar im alltäglichen Leben. In einer Gesellschaft, die von Gleichgültigkeit, Oberflächlichkeit und Individualismus geprägt ist, ist der Diakon ein Zeichen einer Kirche, die hinausgeht, die sich niederkniet, um Füße zu waschen, die zuhört, begleitet und sich hingibt.
7. Was kann uns der diakonale Dienst heute lehren?
Für diejenigen, die keine Diakone sind, ist dieses Amt ein Aufruf, den Dienst als wesentlichen Bestandteil des Christseins zu leben. Alle, die getauft sind, sind dazu berufen, im weiteren Sinne „Diakone“ zu sein: Diener des Evangeliums, aufmerksam für die Bedürfnisse der anderen.
Praktische Anwendungen für den Alltag:
- Christus, dem Diener, in deinem Umfeld nachahmen: in der Arbeit, in der Familie, in der Gemeinschaft.
- Dienen ohne Lohn zu erwarten: der diakonale Geist ist diskret, demütig, selbstlos.
- Das Evangelium durch Taten verkünden: Nächstenliebe ist die glaubwürdigste Predigtform.
- Den diakonalen Dienst in deiner Pfarrei wertschätzen und unterstützen, seine Sendung verstehen und mitarbeiten.
8. Eine diakonischere Kirche: Auf dem Weg in die Zukunft
In einer Zeit, in der die Kirche ihr missionarisches Gesicht erneuern möchte, ist der Diakonat ein Schlüssel für die Zukunft. Nicht nur als „weiterer Dienst“, sondern als Spiritualität, die alle Christen durchdringen soll.
Die Kirche braucht mehr Diener als Hauptfiguren, mehr Füße-Wäscher als Strategen, mehr Evangelisierer mit Schwielen an den Händen als Redner in Salons.
Wie Jesus uns erinnert:
„Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Sklave. Wie auch der Menschensohn nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Matthäus 20, 26–28).
Schlussfolgerung: Eine Berufung für die Kirche des 21. Jahrhunderts
Den Diakonat neu zu entdecken bedeutet, das Herz des Evangeliums neu zu entdecken: die Logik des Dienens, der verkörperten Liebe, der konkreten Selbsthingabe. Der Diakon erinnert uns daran, dass Heiligkeit in Zentimetern der Nächstenliebe gemessen wird, nicht in Kilometern von Reden.
Beten wir zum Herrn, dass er mehr Berufungen zum Diakonat weckt, aber auch, dass alle Gläubigen lernen, diakonisch zu leben: mit Demut, Hingabe und Leidenschaft für den Dienst. Denn nur eine dienende Kirche rettet.