Der Kronokrator: Herr der Zeit, König der Ewigkeit

Einleitung: Den Herrn der Zeit neu entdecken

Wir leben in einer Zeit, in der die Zeit selbst ein Tyrann geworden ist. Wir hetzen von Aufgabe zu Aufgabe, die Augen ständig auf die Uhr gerichtet, überfordert von überfüllten Terminkalendern. Alles ist dringend, alles sollte „gestern“ erledigt sein. Aber hast du dich je gefragt: Wer ist eigentlich der wahre Herr der Zeit?

In der christlichen Tradition gibt es eine mächtige, majestätische und kaum bekannte Figur, die genau diese Frage beantwortet: der Kronokrator, der „Herr der Zeit“. Dieser alte und geheimnisvolle Titel lädt uns ein, eine tiefere Dimension der Göttlichkeit Christi zu betrachten – seine absolute Herrschaft nicht nur über den Raum, sondern auch über die Zeit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Dieser Artikel wird dich auf eine Reise mitnehmen, um zu entdecken, wer der Kronokrator ist, wie er mit dem Pantokrator zusammenhängt, welche theologische Bedeutung er hat und wie diese Sichtweise dein geistliches Leben verändern kann. Denn Christus als Kronokrator zu erkennen, ist nicht nur eine theologische Übung: Es ist ein Kompass, um inmitten des modernen Sturms in Frieden zu leben.


1. Etymologie und Bedeutung: Was bedeutet „Kronokrator“?

Der Begriff Kronokrator stammt aus dem Altgriechischen:

  • Chronos (χρόνος) = die Zeit
  • Krator (κράτωρ) = der Herrscher, der Souverän

Wörtlich bedeutet Kronokrator: „Der, der über die Zeit herrscht“. Es ist ein majestätischer Titel, der Christus als den Herrn über die Zeit darstellt – im Gegensatz zu unserer modernen Erfahrung als Sklaven der Zeit. Obwohl dieses Bild in der westlichen christlichen Ikonographie wenig verbreitet ist, hat es tiefe Wurzeln in der östlichen und patristischen Theologie, wo Zeit und Ewigkeit im Zentrum des Mysteriums der Menschwerdung stehen.


2. Verbindung zum Pantokrator: Zwei Gesichter eines Königs

Bekannter ist das Bild des Pantokrators, was „Allmächtiger“ oder „Herr über alles“ bedeutet. Dieses Bild zeigt Christus als Richter, Herrscher und Souverän des Universums. Es findet sich häufig in den Kuppeln orthodoxer Kirchen, als Erinnerung daran, dass Christus alles erfüllt und alles durch seine Macht trägt.

Die Verbindung zwischen Pantokrator und Kronokrator ist tiefgehend. Beide Titel drücken die Souveränität Christi aus, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten:

  • Der Pantokrator herrscht über den Raum, das Universum, die Materie.
  • Der Kronokrator herrscht über die Zeit, die Geschichte, das menschliche Schicksal.

Beide vereinen sich in der einzigartigen Realität des fleischgewordenen Wortes, dem Alpha und dem Omega (Offb 22,13), dem, der war, der ist und der kommt. Christus herrscht nicht nur über die Dinge – er herrscht auch über die Zeit selbst.


3. Christus und die Zeit: Eine theologische Sichtweise

In der biblischen Sichtweise ist Gott ewig – das heißt, außerhalb der Zeit. Doch in Jesus Christus tritt der Ewige in die Zeit ein. Die Menschwerdung ist der große Akt, durch den Gott sich freiwillig der menschlichen Zeit unterwirft, um sie zu erlösen.

„Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau…“ (Galater 4,4)

Hier offenbart sich eine fundamentale Wahrheit: Zeit ist nicht der Feind des Menschen, sondern der Ort des Heils. Christus, der zu einem bestimmten Moment der Geschichte geboren wurde, starb und auferstand in der Zeit – und verwandelte sie in eine Zeit der Gnade. Jede Sekunde, jede Minute, jeder Tag kann eine Gelegenheit zur Begegnung mit Gott werden.


4. Ursprung des Konzepts: Von der Antike zur christlichen Theologie

Das Konzept der Zeit war bereits vor dem Christentum heilig. Die Griechen unterschieden zwei Arten von Zeit:

  • Chronos: die chronologische, messbare, fortlaufende Zeit (die der Uhr)
  • Kairos: die qualitative Zeit, der günstige Moment, der richtige Zeitpunkt für eine bedeutende Handlung

Christus als Kronokrator herrscht über beide. Er beherrscht den Fluss der Zeit (chronos) und öffnet zugleich die Tür zu den kairos-Momenten der Gnade. Die patristische Theologie, besonders bei Augustinus, entwickelt diese Sichtweise weiter: Zeit ist ein Geschöpf, ein Geschenk Gottes, und Christus ist ihr Herr.

Der byzantinische Theologe Maximus der Bekenner sagte, dass in Christus Zeit und Ewigkeit versöhnt werden: Er ist der Schnittpunkt zwischen Zeit und Ewigkeit.


5. Spirituelle Anwendung: Leben unter der Herrschaft des Kronokrators

Christus als Kronokrator anzuerkennen, verändert radikal unser Verhältnis zur Zeit. Wir leben nicht mehr unter dem Diktat der Uhr, der Eile und der Angst. Wir leben in der Zeit wie in einem geweihten Tempel, in dem jeder Moment ein Sakrament der Begegnung mit dem Ewigen werden kann.

Hier ist ein spiritueller und pastoraler Leitfaden, um unter der Herrschaft Christi über die Zeit zu leben:

a) Heilige deine tägliche Zeit

Beginne und beende deinen Tag mit Gebet. Übergib deine Zeit Gott. Das Stundengebet (Liturgie der Stunden) ist ein bevorzugter Weg, die Zeit zu heiligen.

„Herr, du bist unsre Zuflucht für und für.“ (Psalm 90,1)

b) Erkenne die „Kairos“-Momente in deinem Leben

Achte auf die Momente, in denen Gott zu dir sprechen will. Nicht alles misst sich an Produktivität; manche Momente sind voller Gnade, auch wenn sie „nutzlos“ erscheinen.

c) Erlebe das Kirchenjahr als heiligen Weg

Der liturgische Kalender ist die Weise, wie die Kirche die Zeit heiligt. Ihn bewusst zu leben, führt dich in die Zeit Christi hinein: Advent, Weihnachten, Fastenzeit, Ostern, Jahreskreis… Jeder Zyklus formt dich als Jünger.

d) Übe Geduld

Wenn Christus der Herr der Zeit ist, muss nicht alles sofort gelöst werden. Lerne zu warten. Warten ist eine Form des Glaubens. Wie Maria: „Sie bewahrte alles in ihrem Herzen und dachte darüber nach.“ (Lk 2,19)

e) Akzeptiere deine persönliche Geschichte

Viele tragen Schuld aus der Vergangenheit oder Angst vor der Zukunft. Doch wenn Christus Kronokrator ist, ist er auch der Herr deiner Geschichte. Er kann deine Wunden heilen und deine Zukunft mit Hoffnung erfüllen.

f) Mache aus der Gegenwart einen Altar

Die Gegenwart ist der einzige Ort, an dem Gott dir begegnet. In der Vergangenheit oder Zukunft zu leben, lenkt vom Wesentlichen ab. Hier und jetzt ist Gott da. Hier und jetzt kannst du lieben.


6. Ein Gegenmittel zur modernen Welt

In einer Gesellschaft, die Geschwindigkeit, Produktivität und Effizienz vergöttert, ruft uns der Kronokrator zur Rückkehr zum Wesentlichen. Er erinnert uns daran, dass Zeit ein Geschenk ist, kein Feind. Dass Hektik die Seele tötet – und dass nur der, der mit Christus geht, in Frieden leben kann, ohne Angst vor der Zukunft oder Ketten der Vergangenheit.

Christus als Kronokrator zu erkennen, ist ein Akt des Glaubens, aber auch eine innere Revolution. Es bedeutet, kein Sklave der Uhr mehr zu sein und stattdessen als Kind der Ewigkeit zu leben.


Schlusswort: Nicht die Zeit herrscht – Christus herrscht

Christus ist nicht nur der Pantokrator, der Herrscher des Universums. Er ist auch der Kronokrator, der Herr der Zeit. In einer Welt, die ziellos rennt, ist er die feste Achse, das Zentrum, in dem sich Zeit und Ewigkeit begegnen.

Jede vergehende Sekunde entfernt dich nicht von Gott – wenn du sie mit Ihm lebst. Im Gegenteil, jede Sekunde kann zu einer Opfergabe, einer Gelegenheit, einem Funken Ewigkeit werden.

„Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.“ (Offenbarung 21,6)

Wage heute den radikalsten Glaubensakt, den du in der modernen Welt tun kannst: Erkenne Christus als Herrn deiner Zeit an. Und du wirst sehen, wie alles, absolut alles, eine neue Bedeutung erhält.

Über catholicus

Pater noster, qui es in cælis: sanc­ti­ficétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in cælo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in ten­ta­tiónem; sed líbera nos a malo. Amen.

Auch ansehen

Theologie im Kontext: Die Inkulturation der katholischen Kirche

Ein Weg der Begegnung zwischen dem Evangelium und den Kulturen Einleitung: Evangelisieren ohne zu kolonisieren …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

error: catholicus.eu