Der Kardinal, der sich weigerte, Papst zu werden: Echte Fälle von Wählern, die dem Papsttum entflohen

Eine Meditation über Demut, Gehorsam und wahre christliche Führung


Einleitung: Wenn die größte Ehre zur größten Furcht wird

In der allgemeinen Vorstellung scheint es, als sei die Wahl zum Papst der Höhepunkt eines ganz Gott geweihten Lebens – die höchste Ehre, die heiligste Last. Und doch gibt es in der Geschichte der Kirche Männer von großer Heiligkeit, die, als man sie vorschlug oder sogar wählte, erschrocken zurückwichen. Warum sollte jemand vor einer solchen Würde fliehen? Was sagt uns das über Führung, Demut und den Willen Gottes?

In einer Welt, in der Macht und Sichtbarkeit begehrt sind, sind diese Episoden zutiefst gegenkulturell. Sie lehren uns, dass wahre christliche Führung sich nicht an Titeln misst, sondern an der Bereitschaft, das Kreuz zu tragen. Dieser Artikel beleuchtet reale Fälle von Kardinälen, die sich weigerten, Papst zu werden – und wie ihr Beispiel auch heute unser Leben erhellen kann.


I. Lebendige Geschichte: Kardinäle, die dem Stuhl Petri auswichen

1. Der heilige Karl Borromäus (1538–1584) – Der Reformkardinal, der das Papsttum fürchtete

Der heilige Karl Borromäus war ein Vorbild für die tridentinische Reform: Erzbischof von Mailand, Förderer des Römischen Katechismus und unermüdlicher Verteidiger der Heiligkeit des Klerus. Sein Leben des Gebets, der Buße und des Dienstes machte ihn zu einem der am meisten genannten Namen für die Nachfolge Pius‘ V. Doch Borromäus fürchtete aufrichtig, zum Papst gewählt zu werden. Er betete, dass der Heilige Geist diesen Kelch an ihm vorübergehen lasse. Lieber wollte er einfacher Diener seiner Diözese bleiben als sichtbares Oberhaupt der Kirche werden.

Warum diese Angst? Weil er das Papsttum nicht als menschliche Ehre, sondern als radikale Nachfolge Christi verstand – als Kreuz, nicht als Krone.

2. Der heilige Philipp Neri (1515–1595) – Der „Apostel Roms“, der sich versteckte

Obwohl er nie Kardinal war, wurde Philipp Neri mehrmals als Kandidat für das Papsttum vorgeschlagen. Seine Reaktion? Er lief buchstäblich davon und versteckte sich. Bekannt für seine Freude und prophetische Tiefe, wusste er, dass seine Berufung nicht das Regieren, sondern das Trösten der Seelen und die Verkündigung der Umkehr war. „Ich will lieber das Paradies“, antwortete er jedes Mal, wenn man ihm ein Amt antragen wollte.

3. Kardinal Giuseppe Siri (1906–1989) – Die Legende vom „ungekrönten Papst“

Obwohl die Quellen variieren und manche Historiker seine tatsächliche Wahl bestreiten, symbolisiert Kardinal Siri jene, die das Papstamt hätten übernehmen können, es aber aus Überzeugung oder äußeren Gründen nicht taten. Als Erzbischof von Genua war Siri eine zentrale Figur des traditionalistischen Lagers im 20. Jahrhundert. Man sagt, er sei bei mehreren Konklaven gewählt worden, habe jedoch abgelehnt – aus Gehorsam oder Vorsicht. Wahr oder nicht: Er steht für Hirten, die im Papstamt nicht eine Beförderung sahen, sondern eine Last.

4. Kardinal Camillo Laurenti (1861–1938)

Kardinal Camillo Laurenti, ein herausragender italienischer Prälat und Präfekt der Heiligen Kongregation für die Riten, war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine zentrale Figur der römischen Kurie. Beim Konklave von 1922, das nach dem Tod von Papst Benedikt XV. einberufen wurde, galt Laurenti als einer der aussichtsreichsten papabili. Laut einigen historischen Berichten und indirekten Zeugenaussagen soll er, als seine Kandidatur unter den wahlberechtigten Kardinälen an Bedeutung gewann, in aller Demut seinen Verzicht auf das Papstamt bekundet haben, falls er gewählt würde. Er war überzeugt, nicht über die nötige Kraft zu verfügen, um die Kirche in solch stürmischen Zeiten zu führen. Diese stillschweigende Ablehnung soll den Weg für die Wahl von Kardinal Achille Ratti geebnet haben, der schließlich zu Papst Pius XI. gewählt wurde. Laurenti diente der Kirche weiterhin treu in der Kurie bis zu seinem Tod und zeigte stets einen Geist der Gehorsamkeit, Demut und tiefen Pflichtauffassung.


II. Theologie der Weigerung: Ist es legitim, das Papsttum abzulehnen?

Auf den ersten Blick könnte die Ablehnung des Papsttums wie Ungehorsam gegenüber Gott erscheinen. Doch in der katholischen Tradition ist Berufungsunterscheidung auch in höchsten Ämtern möglich. Das Papstamt ist keine Belohnung, sondern ein Kreuz. Es bedeutet, „Diener der Diener Gottes“ (servus servorum Dei) zu sein. Der Katechismus erinnert uns:

„Wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht.“ (vgl. Mt 20,27)

Der Schlüssel liegt in der evangelischen Demut – einer tief gelebten theologischen Tugend. Es geht nicht um falsche Bescheidenheit, sondern um das klare Bewusstsein der eigenen Kleinheit vor Gott. Der heilige Bernhard von Clairvaux sagte: „Wer nicht demütig ist, kann nicht erhöht werden, ohne zu fallen.“

Wenn ein Kardinal das Papstamt ablehnt, dann geschieht dies oft nicht aus Feigheit, sondern aus Ehrfurcht vor Christus, aus Liebe zur Kirche und aus klarem Bewusstsein der eigenen Grenzen.


III. Praktische Lehren für heute: Was kann der gewöhnliche Christ daraus lernen?

1. Strebe nicht nach Macht, sondern nach Sendung

Das christliche Leben besteht nicht darin, „Karriere“ zu machen oder aufzusteigen, sondern darin, hinabzusteigen – zu den Füßen der anderen wie Jesus, der seinen Jüngern die Füße wusch (vgl. Joh 13,1–17). Diese Kardinäle lehren uns, keine Ehre zu suchen, sondern zu dienen, wo wir sind.

„Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ (Lk 14,11)

2. Unterscheide deine Aufgaben im Gebet und Gehorsam

Nicht jede „Chance“ ist ein Ruf Gottes. Geistliche Klugheit verlangt Unterscheidung: Bin ich wirklich zu dieser Aufgabe berufen? Oder laufe ich vor dem Kreuz davon? Oder jage ich einem Ego hinterher, das sich als apostolischer Eifer verkleidet hat?

Die Heiligen, die das Papsttum ablehnten, taten dies nach tiefem Gebet, geistlicher Begleitung und vertrauensvoller Hingabe an die Vorsehung. Wir können von ihnen lernen, Gott in alle wichtigen Entscheidungen einzubeziehen.

3. Das Kreuz ist keine Option

Jesus sagte nicht: „Wer mir nachfolgen will, folge mir, wenn es ihm passt.“ Sondern:

„Wenn einer mir nachkommen will, verleugne er sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ (Lk 9,23)

Manchmal nimmt das Kreuz die Gestalt einer Aufgabe an, die wir nicht gesucht haben – wie etwa eine Papstwahl. Ein anderes Mal bedeutet es, auf einen Wunsch zu verzichten – aus Treue zu Gott. Wichtig ist nicht, dem Kreuz zu entfliehen, sondern es mit innerer Freiheit anzunehmen.


IV. Theologischer und pastoraler Leitfaden: Wie wir diese Lehre heute leben können

1. Gewissenserforschung über Macht und Ehrgeiz

  • Suche ich Aufgaben aus Eitelkeit oder für den Dienst?
  • Kann ich auch „Nein“ sagen zu Dingen, die nicht meine Berufung sind?
  • Ist mir Anerkennung wichtiger als Wahrheit?

2. Tägliche Praxis der Demut

  • Sei dankbar für deine Gaben, erkenne sie aber als Gottes Geschenk.
  • Nimm Korrekturen an, ohne dich zu rechtfertigen.
  • Freue dich über die Erfolge anderer, ohne dich zu vergleichen.

3. Geistliche Begleitung und Gehorsam

  • Hole Rat bei einem geistlichen Begleiter vor großen Entscheidungen.
  • Triff keine wichtigen Entscheidungen allein oder in Momenten starker Emotionen.
  • Übe Gehorsam gegenüber der Kirche – auch wenn es schwerfällt.

4. Mache dein Leben zu einem Dienst

  • Mache dir die Worte Mariens zu eigen: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort.“ (Lk 1,38)
  • Erfülle auch kleine Aufgaben mit großer Liebe: deine Kinder erziehen, gerecht arbeiten, dem Leidenden zuhören.

Schlussfolgerung: Der wahre Papst ist Christus

Die Kardinäle, die dem Papsttum auswichen, wussten: Der wahre oberste Hirte ist Jesus Christus. Der Papst ist kein absoluter Monarch, sondern ein Hirte – Stellvertreter Christi. Und jene, die „Nein“ sagten zu dieser Würde, lehren uns, „Ja“ zu sagen zu dem, was wirklich zählt: dem Willen Gottes.

Wir sind nicht alle berufen, Päpste zu sein – aber alle sind wir zur Heiligkeit berufen. Und Heiligkeit misst sich nicht an Titeln, sondern an Treue.

„Nicht jeder, der zu mir sagt: ‚Herr, Herr!‘, wird in das Himmelreich eingehen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel tut.“ (Mt 7,21)


Abschlussgebet

Herr Jesus, sanfter und demütiger Meister,
lehre uns, deinen Willen unserer eigenen Ehre vorzuziehen.
Gib uns ein freies Herz, das Nein zur Macht und Ja zum Dienst sagen kann.
Wie der heilige Karl Borromäus, der mehr fürchtete, dich zu enttäuschen, als nicht gewählt zu werden,
mach uns empfänglich für deinen Heiligen Geist.
Lass unsere Entscheidungen zu einem gelebten Gebet werden.
Und wenn du uns ein Kreuz gibst,
lass es uns mit dir tragen – nicht allein.
Amen.

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Pater noster, qui es in cælis: sanc­ti­ficétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in cælo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in ten­ta­tiónem; sed líbera nos a malo. Amen.

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