In einer Welt, die zunehmend von der Vermeidung von Leid, der Eile zur Beendigung des Schmerzes und dem Verlust des transzendenten Sinns des Lebens geprägt ist, hat sich die Debatte über den assistierten Suizid zu einem der brisantesten Themen unserer Zeit entwickelt. Hinter dem Schleier von Mitgefühl, persönlicher Freiheit und Würde verbirgt sich eine tiefere und komplexere Realität – eine Realität, die nicht nur den Einzelnen betrifft, sondern auch die Seele unserer Zivilisation.
Dieser Artikel lädt zu einer ernsthaften, klaren und tief spirituellen Reflexion über den assistierten Suizid ein – aus dem reichen Schatz der katholischen Glaubenslehre. Unser Ziel ist es nicht nur zu erklären, warum die Kirche diese Praxis ablehnt, sondern vor allem zu zeigen, dass das menschliche Leben – selbst im Schmerz – einen unendlichen Wert besitzt, dass das Leiden erlösbar ist und dass die Begleitung der Leidenden zu einer heroischen christlichen Tat und zu einem wahren Zeichen von Zivilisation werden kann.
1. Was ist assistierter Suizid?
Assistierter Suizid bezeichnet die Praxis, bei der eine Person – meist ein Arzt – einem Patienten die Mittel zur Selbsttötung zur Verfügung stellt, in der Regel durch ein tödliches Medikament. Im Gegensatz zur aktiven Euthanasie (bei der der Arzt die tödliche Dosis selbst verabreicht) führt beim assistierten Suizid der Patient den letzten Schritt eigenständig durch.
Befürworter dieser Praxis berufen sich häufig auf die Autonomie des Patienten, sein Recht auf einen würdevollen Tod und den Wunsch, unerträgliches physisches oder psychisches Leid zu vermeiden. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich eine tiefe Wunde unserer Kultur: die Unfähigkeit, dem Leiden einen Sinn zu geben, die radikale Einsamkeit vieler Menschen und die zunehmende Medikalisierung und Entmenschlichung des Todes.
2. Eine Zivilisation, die mit dem Leid nichts mehr anzufangen weiß
Wir leben in einer Gesellschaft, die körperliches Wohlbefinden, Jugend und Effizienz vergöttert. In diesem Kontext erscheinen Schmerz, Abhängigkeit und Alter als unerträgliche Niederlagen. Der Körper wird zu einem Wegwerfobjekt, sobald er „nicht mehr funktioniert“.
Papst Franziskus hat sich mit Nachdruck zu diesem Thema geäußert:
„Euthanasie und assistierter Suizid sind eine Niederlage für alle. Unsere Antwort muss sein, diejenigen, die leiden, niemals im Stich zu lassen.“
(Ansprache an die italienische Gesellschaft für Onkologie, 2019)
Das Leiden wird nicht mehr begleitet, sondern beseitigt. Die leidende Person wird nicht mehr gepflegt, sondern im Namen des Mitgefühls aufgegeben.
Die christliche Tradition hingegen lehrt, dass das Leiden – so geheimnisvoll und schmerzhaft es auch sein mag – nicht sinnlos ist. Im gekreuzigten Christus erhält das Leid einen erlösenden Wert:
„Jetzt freue ich mich in den Leiden für euch, und ich ergänze in meinem Fleisch, was an den Leiden Christi noch fehlt – für seinen Leib, das ist die Kirche.“ (Kolosser 1,24)
3. Eine Geschichte der Treue zum Leben
Schon in den ersten Jahrhunderten sprach sich die Kirche eindeutig gegen den Selbstmord und damit auch gegen jede Form der Mithilfe dazu aus. Der Katechismus der Katholischen Kirche (Nr. 2280–2283) lehrt:
„Wir sind Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens, das Gott uns anvertraut hat. Wir verfügen nicht darüber.“
Der Suizid widerspricht der Selbstliebe, verletzt die Nächstenliebe und lehnt die Liebe Gottes ab. Im Laufe der Jahrhunderte haben Heilige, Märtyrer, Mystiker, Kirchenväter und Lehrer der Kirche immer wieder den Wert des Lebens, auch im Leiden, bekräftigt.
Papst Johannes Paul II. prangerte in seiner Enzyklika Evangelium Vitae (1995) diese neue Form der „Kultur des Todes“ an:
„Euthanasie ist ein schwerwiegender Verstoß gegen das göttliche Gesetz, denn sie ist die absichtliche und sittlich inakzeptable Tötung eines menschlichen Wesens.“
4. Missverstandene Barmherzigkeit
Eines der häufigsten Argumente für den assistierten Suizid ist die Barmherzigkeit. Wie kann man einem Menschen, der unerträglich leidet, nicht helfen, sein Leid zu beenden?
Die wahre Barmherzigkeit jedoch besteht nicht darin, den Leidenden zu beseitigen, sondern darin, ihm mit Liebe, Nähe und Fürsorge beizustehen. Wie Papst Franziskus sagt: „Euthanasie ist kein Akt des Mitgefühls. Sie ist das Scheitern der Liebe.“
Wahre Barmherzigkeit:
- Begleitet – sie verlässt den Leidenden nicht in der Dunkelheit.
- Hört zu – sie zwingt nicht, sondern nimmt den Schrei des Herzens ernst.
- Heilt – sie versucht nicht um jeden Preis, Schmerz zu eliminieren, sondern stützt den, der leidet.
- Erlöst – sie erkennt im Kreuz Christi das Licht in jedem Leid.
5. Theologische Konsequenzen: Wo ist Gott im Schmerz?
Die große menschliche Frage angesichts des Leidens lautet: Warum? Wo ist Gott, wenn ich Ihn am meisten brauche? Warum lässt Er den Schmerz zu?
Die christliche Antwort ist kein Konzept, sondern eine Person: Jesus Christus. Er hat das Leid nicht aus der Welt entfernt, sondern es angenommen, es durchlebt, es erlöst. Am Kreuz hat sich Gott mit dem menschlichen Leid vereint. Er gibt uns keine Theorie, sondern Seine Gegenwart.
Das verändert alles:
- Gott verlässt uns nicht im Leid.
- Der Schmerz ist nicht sinnlos, wenn er mit dem Leiden Christi vereint wird.
- Leid, das in Liebe getragen wird, wird zur Opfergabe, zur Fürbitte, zum Heil.
„Wenn wir mit Ihm leiden, werden wir auch mit Ihm verherrlicht werden.“ (Römer 8,17)
6. Was sagt die Kirche heute?
Angesichts des assistierten Suizids bietet die Kirche eine ganzheitliche Antwort, die umfasst:
- Palliativmedizin – eine Medizin, die begleitet, lindert und würdevoll unterstützt, ohne den Tod zu beschleunigen.
- Menschliche und geistliche Präsenz – Familien, Gemeinden und Pfarreien, die nicht aufgeben.
- Pastorale Begleitung – Priester, Ordensleute und Laien, die zuhören, beten und Hoffnung schenken.
- Die Sakramente – insbesondere die Eucharistie und die Krankensalbung als Kraftquellen für den letzten Weg.
Das Leben – selbst verwundet – ist lebenswert. Wir sind nicht allein.
7. Praktischer Leitfaden für Katholiken: Was tun, wenn ein Angehöriger sterben will?
1. Mit dem Herzen zuhören
Viele Menschen wollen nicht sterben – sie wollen, dass der Schmerz aufhört. Geduldiges, urteilsfreies Zuhören kann Türen zur Hoffnung öffnen.
2. Nicht mit Argumenten, sondern mit Liebe antworten
Was rettet, sind nicht Worte, sondern konkrete Gesten der Zärtlichkeit, gemeinsam verbrachte Zeit, geschenkte Vergebung.
3. Fachliche und pastorale Hilfe suchen
Man ist nicht allein. Ärzte, Priester, Gemeinschaften – alle können helfen. Geteiltes Leid ist leichter zu tragen.
4. Sanft über den Wert des Leidens sprechen
Zur rechten Zeit kann man Zeugnisse teilen, wie andere ihrem Leid einen Sinn geben konnten – nicht als Belehrung, sondern als Ermutigung.
5. Geistliche Begleitung anbieten
Gemeinsam beten, die Eucharistie vorschlagen, zur Beichte einladen, die Seele auf die Begegnung mit dem Herrn vorbereiten.
6. Palliativversorgung fördern
Sich informieren, das Recht auf ein würdevolles, nicht provoziertes Lebensende verteidigen.
8. Wie lässt sich das im Alltag leben?
- Das Leben in seiner Zerbrechlichkeit wertschätzen – indem wir uns zuerst um die Alten, Kranken und Einsamen kümmern.
- Zur Hoffnung erziehen – Jugendlichen vermitteln, dass Leid nicht das Ende ist, dass es selbst im Kreuz Schönheit gibt.
- Gemeinschaft sein – Netzwerke der Liebe schaffen, in denen sich niemand als „Wegwerfprodukt“ fühlt.
- Für die Leidenden beten – für Sterbende, für Suizidgefährdete, für alle, die den Sinn verloren haben.
Schluss: Die wahre Zivilisation
Eine Zivilisation misst sich nicht an Technik, Gesetzen oder Wissenschaft, sondern daran, wie sie mit den Schwächsten umgeht. Assistierter Suizid ist keine Barmherzigkeit – er ist das Scheitern einer Kultur, die nicht mehr begleiten kann. Doch es gibt Hoffnung.
Der katholische Glaube ruft uns dazu auf, den Blick zu heben, den gekreuzigten und auferstandenen Christus zu betrachten, das Leid nicht zu fliehen, sondern es in ein Opfer zu verwandeln. Er ruft uns dazu auf, Licht für die Leidenden, Stimme für die Sprachlosen, Gegenwart für die Einsamen zu sein.
Möge es uns gelingen, am Ende unseres Weges mit dem heiligen Paulus zu sagen:
„Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt.“ (2 Timotheus 4,7)
Und wenn unsere Stunde kommt, dann möge unser Leben nicht aus Verzweiflung, sondern aus Liebe in Frieden hingegeben werden – im Vertrauen darauf, dem Vater entgegenzugehen.