Askese: Der vergessene Weg zur Heiligkeit in einer Welt des Komforts

In einer Zeit, in der Bequemlichkeit und sofortige Befriedigung das tägliche Leben beherrschen, scheint die Askese ein Relikt der Vergangenheit zu sein – ein fremdes und sogar unangenehmes Konzept. Doch gerade in diesem modernen Kontext des Konsumismus und der Ablenkung gewinnt die Askese an neuer Bedeutung. Sie ist kein irrationaler Weltverzicht oder eine Verachtung des Körpers, sondern ein bewährter und tiefgehender Weg zur Heiligkeit, zur inneren Freiheit und zur Gemeinschaft mit Gott.

Aber was ist Askese eigentlich? Ist sie nur für Mönche und Einsiedler, oder hat sie auch uns modernen Christen etwas zu sagen? In diesem Artikel werden wir ihren Ursprung, ihre Geschichte in der christlichen Tradition und ihre Relevanz für die Gläubigen von heute erkunden.

1. Was ist Askese?

Askese (vom griechischen askesis, was „Übung“ oder „Disziplin“ bedeutet) ist die Praxis der Selbstdisziplin und des freiwilligen Verzichts auf weltliche Vergnügungen, um sich Gott zu nähern. Es geht nicht darum, den Körper oder die Schöpfung abzulehnen, sondern darum, die Seele durch geistiges Training zu stärken und sie auf den Empfang der göttlichen Gnade vorzubereiten.

Der heilige Paulus beschreibt dies eindrucksvoll, indem er das christliche Leben mit einem sportlichen Wettlauf vergleicht:

„Wisst ihr nicht, dass die Läufer im Stadion zwar alle laufen, aber nur einer den Siegespreis gewinnt? Lauft so, dass ihr ihn gewinnt! Jeder Wettkämpfer lebt enthaltsam in allem; jene tun es, um einen vergänglichen Siegeskranz zu erhalten, wir aber einen unvergänglichen.“ (1 Korinther 9,24-25)

So wie ein Sportler auf bestimmte Genüsse verzichtet, um seine Leistung zu verbessern, übt sich der Christ in der Askese, um seinen Geist zu stärken und eine tiefere Beziehung zu Gott zu führen.

2. Askese in der Geschichte der Kirche

Schon in den ersten Jahrhunderten verstanden Christen, dass die Nachfolge Christi einen radikalen Verzicht auf ungeordnete weltliche Freuden erforderte.

Die ersten Christen und die Märtyrer

In der apostolischen Zeit bedeutete das christliche Leben bereits ein großes Opfer. Die frühen Christen wurden verfolgt, lebten in ständiger Gefahr und verzichteten aus Glaubensgründen auf viele Annehmlichkeiten. Die Märtyrer waren die ersten großen Asketen, die nicht nur ihre Besitztümer, sondern auch ihr Leben für Christus aufgaben.

Die Wüstenväter

Im 3. Jahrhundert, als die Verfolgungen aufhörten und das Christentum legalisiert wurde, entstand eine neue Form der Radikalität: die Wüstenväter. Männer wie der heilige Antonius der Große und der heilige Pachomius zogen sich in die Wüste zurück, um in Gebet, Fasten und Buße zu leben, fernab von den Ablenkungen der Welt.

Der heilige Antonius der Große, der als Vater des christlichen Mönchtums gilt, lebte in extremer Entsagung, überzeugt davon, dass der wahre Schatz nicht im materiellen Reichtum, sondern in einem Leben der völligen Hingabe an Gott liegt.

Das Mittelalter und die Ordensgemeinschaften

Im Mittelalter wurde die Askese in den Klöstern institutionalisiert. Mönchsregeln wie die des heiligen Benedikt strukturierten ein Leben aus Gebet, Arbeit und maßvollem Verzicht. Orden wie die Kartäuser und Zisterzienser trieben die Askese noch weiter, indem sie Schweigen, Fasten und ständige Meditation praktizierten.

Die asketischen Heiligen der Neuzeit

Auch in jüngerer Zeit lebten Heilige wie Johannes vom Kreuz, Teresa von Ávila, Pater Pio und Mutter Teresa von Kalkutta eine tiefe Askese, überzeugt davon, dass persönliches Opfer sie enger mit Christus verband und sie besser für andere da sein ließ.

3. Warum ist Askese heute notwendig?

Obwohl die moderne Gesellschaft Komfort und sofortige Befriedigung fördert, hat die menschliche Seele immer noch die gleichen geistlichen Bedürfnisse. Askese ist keine veraltete Praxis, sondern ein notwendiges Heilmittel gegen die Exzesse der modernen Welt.

Das Problem einer Vergnügungsgesellschaft

Wir leben in einer Kultur, die Leiden um jeden Preis vermeidet. Werbung, Technologie und Unterhaltung haben eine Gesellschaft geschaffen, die sofortige Befriedigung sucht und keinen Raum für Verzicht oder Opfer lässt. Doch dieser Lebensstil hat eine Sinnkrise hervorgebracht – hohe Raten von Angstzuständen, Depressionen und existenzieller Leere.

Askese als Antwort

Weit davon entfernt, eine irrationale Ablehnung von Vergnügen zu sein, schlägt die christliche Askese ein Gleichgewicht vor: den Gebrauch materieller Güter, ohne ihr Sklave zu werden. Die Praxis des Verzichts hilft uns, freier zu sein und unser Leben auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Papst Johannes Paul II. warnte vor der Gefahr einer Gesellschaft, die das Opfer aus den Augen verloren hat:

„Die Fähigkeit zum Opfer ist das Geheimnis wahrer Freiheit.“

Askese lehrt uns, „Nein“ zum Überflüssigen zu sagen, damit wir ein größeres „Ja“ zu Gott und unseren Mitmenschen sagen können.

4. Wie kann man Askese im Alltag praktizieren?

Es ist nicht notwendig, in die Wüste zu gehen oder in einem Kloster zu leben, um Askese zu üben. Kleine tägliche Verzichtsübungen können ein Weg des geistlichen Wachstums sein.

Konkrete Beispiele moderner Askese

  1. Mäßigung beim Essen und Trinken: Es geht nicht um Unterernährung, sondern um maßvolles Essen und kleine Fastenopfer.
  2. Kontrollierter Umgang mit Technologie: Weniger Zeit in sozialen Netzwerken verbringen und unnötige Ablenkungen vermeiden.
  3. Beherrschung der eigenen Impulse: Lernen, „Nein“ zu materiellen und emotionalen Launen zu sagen.
  4. Geheime Wohltätigkeit praktizieren: Auf etwas Eigenes verzichten, um anderen zu helfen, ohne Anerkennung zu suchen.
  5. Schwierigkeiten mit Geduld annehmen: Das Leiden als eine Gelegenheit zur Heiligkeit sehen.

5. Fazit: Zurück zum Geist des Evangeliums

Askese ist keine seltsame oder extreme Option, sondern eine wesentliche Dimension des christlichen Lebens. Sie ist die Disziplin, die uns von unseren inneren Fesseln befreit und uns fähiger macht, Gott und unseren Nächsten zu lieben.

Jesus selbst hat uns den Weg des Opfers gelehrt:

„Wenn jemand hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ (Matthäus 16,24)

In einer Welt, die von Vergnügen und Bequemlichkeit besessen ist, ist die christliche Askese eine wahre Revolution. Sie ist der vergessene Weg zur Heiligkeit – ein Weg zu echter Freiheit und Freude in Christus.

Die Frage ist: Sind wir bereit, diesen Weg zu gehen?

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Pater noster, qui es in cælis: sanc­ti­ficétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in cælo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in ten­ta­tiónem; sed líbera nos a malo. Amen.

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