DIE LITURGISCHEN KREDENZ:DER „KLEINE ALTAR“, DER DAS WUNDER TRÄGT

Es gibt Elemente in der Liturgie, die oft unbemerkt bleiben… bis man ihren tiefen Sinn entdeckt. Eines davon ist die liturgische Kredenz, jener kleine Seitentisch, der still, diskret und fast unsichtbar wirkt. Doch wie so oft im geistlichen Leben trägt das Kleine das Große, und das Verborgene bereitet das Geheimnis vor. Die Kredenz ist wörtlich der Ort, an dem alles bereitgestellt wird, damit Christus gegenwärtig werden kann.

Heute, in einer Zeit der Ablenkung, des Lärms und des Bedeutungsverlustes, kann das Verständnis dieses liturgischen „Details“ uns unsere Fähigkeit zum Staunen und zur Ehrfurcht zurückgeben. Denn die Kredenz ist kein Möbelstück: Sie ist eine Schule der geistlichen Ordnung, eine Erinnerung daran, dass Gott in ein gut bereitetes Leben eintritt.


1. Was ist die Kredenz? Viel mehr als ein Seitentisch

Die liturgische Kredenz ist der kleine Tisch an der Seite des Altarraums, auf dem die für die Eucharistie notwendigen Gegenstände abgelegt werden:

  • der Kelch
  • die Patene
  • das Korporale
  • die Kännchen
  • das Purifikatorium
  • das Manutergium
  • die Altarglocke oder andere Gegenstände je nach Ritus

Auf den ersten Blick ist sie nur eine funktionale Ablage. Aber die Liturgie ist niemals bloß funktional: Sie ist immer symbolisch, theologisch und geistlich. Die Kredenz ist der Ort der Vorbereitung, das, was vor dem Opfer bereitet wird – so wie auch das Herz des Gläubigen vorbereitet sein muss, bevor er sich dem Altar nähert.


2. Geschichte: Von der Sakristei zum Heiligtum

In der Antike wurden viele der Gegenstände, die heute auf der Kredenz stehen, in der Sakristei aufbewahrt. Die liturgischen Diener brachten sie in einer Prozession zum Altar. Mit der Entwicklung der römischen Liturgie und der Gestaltung der heiligen Räume erkannte die Kirche, dass es angemessen war, einen Ort nahe dem Altar zu haben, an dem die heiligen Gegenstände würdig und geordnet bereitgehalten werden konnten.

Diese Veränderung geschah nicht zufällig. Als die Kirche ihre eucharistische Theologie vertiefte, verstand sie, dass selbst das kleinste Detail die Ordnung des Himmels widerspiegeln sollte. Die Kredenz wurde so zu einem kleinen Hilfsheiligtum, einer Art „Vorrraum“ des Altars.


3. Ihre theologische Bedeutung: Der Ort, an dem Ordnung das Wunder vorbereitet

Das Buch Levitikus zeigt, wie Jahwe Mose anweist, dass jeder Gegenstand des Gottesdienstes seinen Platz, seine Funktion und seine rituelle Reinheit haben soll (vgl. Lev 6–10). Nicht weil Gott Möbel braucht, sondern weil der Mensch Ordnung braucht, um Gott zu begegnen.

Die Kredenz verkörpert dieses Prinzip:
Das Heilige verlangt Vorbereitung.

Vor der Wandlung liegt alles noch auf der Kredenz: Das Brot ist noch nicht der Leib, der Wein noch nicht das Blut. Es ist der Ort des „Noch-nicht“, der Zeit des Wartens, wo die Opfergaben ruhen, bevor sie zur Realpräsenz werden. Sie ist gewissermaßen das Symbol des menschlichen Herzens, das ebenfalls warten, sich vorbereiten und reinigen muss, bevor Christus vollständig darin wohnen kann.

Der heilige Paulus erinnert uns:

„Alles aber geschehe anständig und in Ordnung“ (1 Kor 14,40).

Die Kredenz macht diesen Vers in der Liturgie sichtbar.


4. Die Kredenz als geistliche Schule: Was sie der modernen Seele lehrt

Heute leben wir in Eile. Alles muss sofort geschehen. Alles wird improvisiert. Alles wird relativiert. Doch Gott improvisiert die Gnade nicht: Er bereitet sie in der Stille vor. Und die Kredenz erinnert uns an drei wesentliche Wahrheiten:

a) Gott wirkt im Verborgenen

Die Kredenz steht seitlich, fast immer außerhalb des Blickfeldes. Und doch wird dort alles vorbereitet. Sie lädt ein, das innere Leben, das stille Gebet und die verborgenen Werke zu schätzen, die den Glauben tragen.

b) Heiligkeit verlangt Ordnung

Eine ungeordnete Seele kann die Größe Gottes nicht aufnehmen. Ebenso wie ein Altar nicht im Chaos stehen darf, kann auch das christliche Leben ohne geistliche Disziplin nicht erblühen.

c) Vorbereitung ist ebenso wertvoll wie Handlung

Die Zeit, die man damit verbringt, den Kelch vorzubereiten, das Korporale zu entfalten oder die Kännchen zu ordnen, ist wirklicher Gottesdienst. Ebenso gehört das Vorbereiten der Seele – Beichte, Stille, Sammlung – wesentlich zur Begegnung mit Christus.


5. Detail für Detail: Was auf der Kredenz liegt und seine Symbolik

Der Kelch

Er wird bald das Blut Christi enthalten. Auf der Kredenz ist er leer: ein Symbol für die Bereitschaft der Seele.

Die Patene

Sie wird das Brot tragen, das zum Leib Christi wird. Sie steht für das Herz, das gibt, was es hat.

Das Korporale

Der „heilige Boden“, auf dem der Leib des Herrn ruhen wird. Zusammengelegt auf der Kredenz erinnert es an den noch geschlossenen Vorhang des Tempels.

Die Kännchen

Wasser und Wein, Symbole für Menschheit und Gottheit, die sich bald im Kelch vereinen.

Das Lavabo

Es steht für die Reinigung des Priesters, der mit reinen Händen zum Altar treten soll – ein äußeres Zeichen innerer Reinheit.


6. Praktische Anwendungen für den heutigen Katholiken

Auch wenn Sie nicht unmittelbar an der liturgischen Vorbereitung beteiligt sind, kann die Kredenz Ihr geistliches Leben inspirieren.

1. Untersuchen Sie täglich Ihre „innere Kredenz“

Vor dem Gebet, vor der Kommunion, vor wichtigen Entscheidungen:
– Welche geistlichen „Gegenstände“ lege ich auf meinen inneren Tisch?
– Welche Anliegen, Sünden, Dankbarkeit oder Bedürfnisse lege ich vor Gott?

2. Ordnen Sie Ihr Leben wie die Kredenz geordnet ist

Alles an seinem Platz. Jede Handlung mit ihrer Absicht.
Ein geordnetes Herz lässt Gott wirken.

3. Bereiten Sie Ihre Teilnahme an der Messe vor

Kommen Sie nicht „kalt“ an. So wie die Kredenz nicht improvisiert, sollten auch Sie es nicht:
– ein Akt der Reue vor dem Eintreten
– ein Moment der Stille
– eine konkrete Intention
– das Evangelium des Tages vorher lesen

4. Pflegen Sie das Verborgene und das Schweigende

Die Kredenz zeigt, dass das Unsichtbare das Sichtbare trägt.
Geben Sie Zeit jenen geistlichen Werken, die nur Gott sieht.


7. Strenger theologischer und pastoraler Praxisleitfaden zur Kredenz

Auf theologischer Ebene

  1. Verstehen Sie, dass jeder Gegenstand heiligen Wert hat. Nichts ist „Dekoration“; alles dient der Eucharistie.
  2. Achten Sie auf die Symbolik der Ordnung: Die falsche Anordnung der Gegenstände verfälscht die geistliche Botschaft der Kredenz.
  3. Werten Sie die Vorbereitung als Teil des Opfers: Die Liturgie beginnt nicht am Altar, sondern an der Kredenz.

Auf pastoraler Ebene (für diejenigen, die in der Messe dienen)

Vor der Messe

  • Überprüfen Sie, dass alles sauber und würdig ist.
  • Ordnen Sie die Gegenstände logisch an: Korporale obenauf, Purifikatorium und Manutergium griffbereit, Kännchen rechts, Lavabo vorbereitet.
  • Achten Sie darauf, dass nichts Fremdes diesen Raum einnimmt: Die Kredenz ist ein heiliger Ort.

Während der Messe

  • Bewegen Sie sich diskret, still und ehrfürchtig.
  • Machen Sie jede kleine Handlung zu einem Gebet: Sie sind kein Techniker; Sie unterstützen das Geheimnis.

Nach der Messe

  • Reinigen Sie alles sorgfältig, trocknen Sie es ehrfürchtig, legen Sie es mit Liebe zurück.
  • Erinnern Sie sich daran, dass Christus auf diesen Gegenständen gegenwärtig war: Behandeln Sie sie, als strahlten sie noch seine Herrlichkeit aus.

8. Schluss: Die Kredenz, ein lebendiges Gleichnis für die Seele, die sich vorbereitet

Die liturgische Kredenz ist ein Detail… aber Details sind die Sprache Gottes. Und in ihrem leisen Schweigen lehrt sie eine Wahrheit, die das geistliche Leben verwandeln kann:
Das Verborgene bereitet das vor, was die Welt verändert.

So wie die Kredenz alles trägt, was nötig ist, damit Christus auf dem Altar gegenwärtig werden kann, so muss auch unser inneres Leben alles tragen, ordnen und vorbereiten, damit Christus in uns gegenwärtig werden kann.

Jedes Mal, wenn Sie diesen kleinen Seitentisch sehen, mögen Sie sich erinnern, was der Herr sagt:

„Bereite dich, deinem Gott zu begegnen“ (Am 4,12).

Und möge Ihr Herz zur würdigsten Kredenz werden, auf der Er seine Gnade bereitet.

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Pater noster, qui es in cælis: sanc­ti­ficétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in cælo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in ten­ta­tiónem; sed líbera nos a malo. Amen.

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