Johannes 6 und die Eucharistie: Warum haben viele Jesus wegen dieser Lehre verlassen?

Einleitung

Es gibt Momente in den Evangelien, in denen Jesu Lehre so tief, so radikal wird, dass sie seine Zuhörer spaltet. Einer dieser entscheidenden Momente findet sich im sechsten Kapitel des Johannesevangeliums. Dort offenbart Jesus eine der verwirrendsten, umstrittensten und zugleich erhabensten Lehren des christlichen Glaubens: die Eucharistie. Diese Lehre war so aufrüttelnd, dass viele Jünger, die ihm bis dahin gefolgt waren, beschlossen, ihn zu verlassen.

Diese Passage erzählt uns nicht nur von einem Ereignis, das sich vor mehr als zweitausend Jahren zugetragen hat. Sie spricht uns heute mit besonderer Kraft an. Sie konfrontiert uns mit unserem Glauben, unseren Zweifeln, unseren liturgischen Praktiken und vor allem mit unserer Beziehung zum Allerheiligsten Sakrament. Warum war diese Lehre so skandalös? Was offenbarte Jesus, das für viele so unakzeptabel war? Und wie können wir in einer Zeit der Verwirrung und geistlichen Lauheit das Feuer dieser Wahrheit neu entdecken, um sie mit Konsequenz und Eifer zu leben?

Dieser Artikel möchte die theologischen Wurzeln von Johannes 6 vertiefen, seinen Kontext erkunden, seinen Inhalt im Licht der katholischen Tradition deuten und einen pastoralen und geistlichen Leitfaden bieten, um die Eucharistie heute als Mittelpunkt unseres christlichen Lebens zu leben.


I. Historischer und literarischer Kontext von Johannes Kapitel 6

Das sechste Kapitel des Johannesevangeliums ist ein theologisches Meisterwerk. Es beginnt mit der Brotvermehrung – einem Wunder, das die Herzen der Zuhörer auf eine größere Offenbarung vorbereitet – und gipfelt in der berühmten „Brot-des-Lebens-Rede“.

Die Abfolge ist klar:

  • Jesus speist eine Menge mit fünf Broten und zwei Fischen (Joh 6,1–15).
  • Er geht über das Wasser, um zu seinen Jüngern zu gelangen (Joh 6,16–21).
  • Die Menge, voller Staunen, folgt ihm, in der Hoffnung auf weitere Zeichen und Speise.
  • Dann beginnt Jesus, nicht von vergänglichem Brot, sondern vom ewigen Brot zu sprechen: von sich selbst.

Je weiter die Rede fortschreitet, desto geheimnisvoller, fordernder und konkreter wird seine Lehre. Jesus weicht nicht zurück. Er mildert seine Worte nicht ab. Im Gegenteil, er bekräftigt sie mit noch größerem Nachdruck.

„Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird leben in Ewigkeit. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.“ (Joh 6,51)

Diese Aussage war für viele zu viel. „Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben?“ (Joh 6,52), murrten sie. Und als Jesus darauf bestand, verließen ihn viele: „Von da an zogen sich viele seiner Jünger zurück und gingen nicht mehr mit ihm“ (Joh 6,66).


II. Warum war diese Lehre so schwer anzunehmen?

Im gesamten Evangelium verwendet Jesus Gleichnisse, Metaphern und Symbole. Aber in Johannes 6 ist seine Sprache überraschend wörtlich und anschaulich. Er gebraucht das griechische Verb trōgō (kauen, nagen), nicht einfach nur „essen“. Das lässt wenig Raum für eine symbolische Deutung. Jesus sprach nicht bildlich. Er meinte eine geheimnisvolle, aber konkrete Wirklichkeit: Sein wahres Fleisch und sein wahres Blut würden Speise sein.

Die Juden zur Zeit Jesu wussten, dass es nach dem Gesetz verboten war, Menschenfleisch zu essen und Blut zu trinken (vgl. Lev 17,10–14). Deshalb schien diese Lehre nicht nur absurd, sondern gotteslästerlich.

Doch Jesus zieht sich nicht zurück. Er erklärt nicht: „Ihr habt mich missverstanden, ich sprach im übertragenen Sinn.“ Im Gegenteil, er bekräftigt seine Aussage mit noch größerer Vehemenz:

„Amen, amen, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch.“ (Joh 6,53)

Dies ist ein entscheidender Moment. Für viele war es der Anlass, Jesus zu verlassen. Für die Zwölf war es der Moment, ihren Glauben zu erneuern, auch wenn sie nicht alles verstanden. Petrus spricht daraufhin einen der schönsten Sätze der Evangelien:

„Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ (Joh 6,68)


III. Theologische Dimension: Das Geheimnis der Realpräsenz

Die Kirche hat von Anfang an verstanden, dass Jesus wörtlich sprach. Sie hat durch die Jahrhunderte klar gelehrt, dass in der Eucharistie der Leib, das Blut, die Seele und die Gottheit unseres Herrn Jesus Christus wirklich, wahrhaft und wesentlich gegenwärtig sind.

Das ist das Herz des katholischen Glaubens. Der heilige Thomas von Aquin drückte es in seinem Hymnus Adoro te devote meisterhaft aus:

„Am Kreuz war nur deine Gottheit verhüllt,
hier aber ist auch deine Menschheit verborgen.“

Bei der Transsubstantiation hören Brot und Wein nach der Wandlung auf, Brot und Wein zu sein, obwohl sie äußerlich so erscheinen. Sie werden zum Leib und Blut Christi. Nicht als Symbol, nicht als Erinnerung, nicht als Darstellung – sondern als ontologische Wirklichkeit.

Dies zu leugnen, hieße, die Liturgie ihres Sinnes zu berauben, das Johannesevangelium zu verraten und die Messe auf ein bloß menschliches Ritual zu reduzieren.


IV. Pastorale Relevanz: Warum verlassen ihn auch heute viele?

Heute, wie zur Zeit Jesu, akzeptieren viele diese Lehre nicht. Sie verlassen die Kirche vielleicht nicht körperlich, aber innerlich. Wie geschieht das?

  • Indem sie die Kommunion empfangen, ohne an die Realpräsenz zu glauben.
  • Indem sie sich im Stand der Todsünde ohne Beichte der Eucharistie nähern.
  • Indem sie die Kommunion wie einen gesellschaftlichen Akt empfangen, ohne Sammlung.
  • Indem sie die eucharistische Anbetung ablehnen und als „optionale Frömmigkeit“ betrachten.

Andere, beeinflusst von protestantischen oder modernistischen Strömungen, sehen in der Messe nur ein symbolisches Mahl, ein Gemeinschaftstreffen ohne Heiligkeit.

Und doch ist Jesus auf jedem Altar der Welt gegenwärtig, still, oft dem Vergessen, der Respektlosigkeit oder gar der Entweihung ausgesetzt.


V. Wie man die Lehre aus Johannes 6 heute leben kann

Dieses Kapitel ist nicht nur ein Text zum Studieren. Es ist ein dringender Aufruf, unser christliches Leben um die Eucharistie herum zu erneuern.

1. Zur vollen Glaubenstreue an die Realpräsenz zurückkehren

Es ist entscheidend, von ganzem Herzen zu glauben, dass Christus wirklich in der konsekrierten Hostie gegenwärtig ist. Dieser Glaube verändert, wie wir kommunizieren, anbeten und die Messe feiern.

2. Die Kommunion mit Vorbereitung empfangen

Das bedeutet regelmäßige Beichte, eucharistisches Fasten, Sammlung und Andacht. Und den würdigen Empfang der Eucharistie – sei es in den Mund oder kniend, um mehr Liebe auszudrücken.

3. Die eucharistische Anbetung neu entdecken

Die Anbetung des Allerheiligsten ist eine Antwort der Liebe auf die verborgene Liebe. Sie erlaubt es uns, innezuhalten, zu betrachten, zu beten und Sühne zu leisten für so viele Beleidigungen.

„Jesus im allerheiligsten Sakrament sei angebetet in allen Tabernakeln der Welt.“ – Sühnegebet

4. Aktiv an der Heiligen Messe teilnehmen

Nicht als Zuschauer, sondern als Anbeter, vereint mit dem Opfer Christi, das auf jedem Altar sakramental erneuert wird. Die Messe ist kein Theaterstück, kein soziales Treffen. Sie ist das Opfer von Golgatha, erneuert ohne Blutvergießen.

5. Andere in dieser Wahrheit unterweisen

Besonders Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die in einer entchristlichten Umgebung aufgewachsen sind. Johannes 6 muss ein grundlegender Bestandteil jeder Katechese sein.


VI. Warum weiter glauben, wenn viele es nicht mehr tun?

Weil es Jesus selbst war, der uns das gelehrt hat. Nicht ein Papst, nicht ein Konzil, nicht ein Theologe. Es ist das Evangelium, das es bezeugt. Und wenn wir uns Christen nennen, können wir diese Lehre nicht ignorieren oder abschwächen.

Petrus verstand nicht alles, aber er glaubte. Das ist eucharistischer Glaube. Der Glaube, der sagt: „Herr, ich verstehe nicht, aber ich glaube. Ich sehe nicht, aber ich bete dich an. Ich begreife nicht, aber ich knie nieder.“

Die Eucharistie ist ein Mysterium, ja. Aber kein sinnloses Rätsel. Sie ist das Geheimnis der Liebe – des Gottes, der sich zur Speise macht, des Erlösers, der sich immer wieder hingibt, um uns das ewige Leben zu schenken.


Schlussfolgerung

Johannes 6 ist nicht einfach ein weiteres Kapitel der Bibel. Es ist ein Spiegel, in dem sich die Kirche aller Zeiten betrachtet. Einige sind empört und gehen. Andere, wie Petrus, bleiben – nicht weil sie verstehen, sondern weil sie lieben.

Heute, in einer Zeit der Lauheit und des Relativismus, wiederholt Jesus seine Worte: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben“ (Joh 6,54). Und wir – was werden wir antworten?

Werden wir zu denen gehören, die sich abwenden? Oder zu denen, die bleiben und anbeten?

Möge Maria, die eucharistische Frau, uns lehren, vom Brot des Lebens zu leben. Möge der heilige Tarsitius, Märtyrer der Eucharistie, uns inspirieren. Möge der Heilige Geist uns das Licht geben zu glauben und die Kraft zu beten.

Denn es gibt keinen größeren Schatz auf Erden als ein Tabernakel. Kein größeres tägliches Wunder als eine Messe. Und keine größere Liebestat als den lebendigen Gott mit Glauben, Andacht und Ehrfurcht zu empfangen, der sich uns zur Speise gibt.

Über catholicus

Pater noster, qui es in cælis: sanc­ti­ficétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in cælo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in ten­ta­tiónem; sed líbera nos a malo. Amen.

Auch ansehen

Die Rolle des Katecheten bei der Wiederherstellung der christlichen Gesellschaft

Ein dringender Aufruf, Licht inmitten der Dunkelheit zu sein Einleitung In einer Welt, die vom …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

error: catholicus.eu