Einleitung: Ein Duft, der die Zeiten überdauert
In der überlieferten lateinischen Messe betet der Priester beim Offertorium des Weins in Stille, während er den Kelch erhebt:
„Offerimus tibi, Domine, calicem salutaris, tuam deprecantes clementiam: ut in conspectu divinae majestatis tuae, pro nostra et totius mundi salute, cum odore suavitatis ascendat.“
„Wir bringen Dir, Herr, den Kelch des Heiles dar und flehen Deine Milde an: dass er mit lieblichen Wohlgeruch vor Deiner göttlichen Majestät aufsteige, zum Heil für uns und die ganze Welt.“
Diese Sprache ist nicht nur symbolisch; sie ist zutiefst biblisch, theologisch durchdrungen und vor allem geistlich tiefgründig. Der „liebliche Wohlgeruch“ (odor suavitatis) ist nicht bloß ein poetisches Bild. Er drückt eine übernatürliche Realität aus, die sich durch die ganze Heilige Schrift zieht und im Opfer Christi gipfelt. Und mehr noch – es ist ein persönlicher Ruf an dich, lieber Leser, dein Leben als lebendiges, heiliges und Gott wohlgefälliges Opfer darzubringen.
I. Die biblischen Wurzeln des lieblichen Opfers
Die erste Erwähnung dieses „lieblichen Geruchs“ finden wir in Genesis 8, 20–21, nach der Sintflut:
„Noach baute dem Herrn einen Altar. Dann nahm er von allen reinen Tieren und von allen reinen Vögeln und brachte Brandopfer auf dem Altar dar. Der Herr roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will den Erdboden künftig nicht mehr verfluchen um des Menschen willen…“
Dieser „liebliche Geruch“ bezieht sich nicht auf den physischen Geruch des verbrannten Opfers, sondern auf das Herz des Opfers: der Duft des Gehorsams, des Glaubens und der Dankbarkeit.
Später, in Exodus 29, 18, weist Mose Aaron und die Leviten bezüglich der Brandopfer an:
„Du sollst den ganzen Widder auf dem Altar verbrennen; es ist ein Brandopfer für den Herrn, ein lieblicher Geruch, ein Feueropfer für den Herrn.“
Diese Formulierung wiederholt sich dutzendfach in Levitikus und Numeri. Es war nicht der Rauch an sich, der Gott gefiel, sondern die innere Haltung des Gehorsams, das Herz, das im Glauben und in Hingabe geopfert wurde. Deshalb lehnt Gott später Opfer ab, die ohne Umkehr dargebracht werden (Jesaja 1, 11–17), wenn das Volk zwar opfert, aber ohne Gerechtigkeit lebt.
II. Erfüllung in Christus: Das vollkommene und endgültige Opfer
Der heilige Paulus erklärt im Epheserbrief mit Nachdruck, dass das Opfer Christi das wahre „Opfer des lieblichen Geruchs“ ist, auf das alle früheren Opfer hingewiesen haben:
„Lebt in Liebe, wie auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch.“ (Epheser 5, 2)
Hier verwendet Paulus bewusst die levitische Sprache. Christus ist das wahre Lamm, das sich in vollkommenem Gehorsam und unendlicher Liebe selbst am Kreuz hingibt. Sein Opfer ist nicht nur Gott wohlgefällig – es ist das einzige Opfer, das wirklich rettet.
Die Heilige Messe, insbesondere in ihrer überlieferten Form, ist keine Wiederholung dieses Opfers, sondern seine unblutige Vergegenwärtigung in der Zeit, die Himmel und Erde in einem ewigen Akt vereint. Wenn der Priester sagt „mit lieblichen Wohlgeruch“, dann spricht er nicht im übertragenen Sinn. Er macht das vollkommene Opfer Christi sakramental gegenwärtig vor dem Thron Gottes.
III. Eine Spiritualität des „lieblichen Wohlgeruchs“: Auch du bist ein Altar
Der heilige Paulus schreibt im Römerbrief Worte, die unser Herz zutiefst bewegen sollten:
„Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber darbringt als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer; das sei euer vernünftiger Gottesdienst.“ (Römer 12, 1)
Das ist der Kern dieses Artikels: Du, lieber Leser, bist berufen, Teil dieses „lieblichen Wohlgeruchs“ für Gott zu werden. Das Opfer Christi schließt dich nicht aus – es nimmt dich mit hinein. Durch die Taufe wirst du Teilhaber am Priestertum Christi. Dein Leiden, dein Werk, dein Gebet, dein Dienst, ja dein ganzes Leben – wenn du es im Glauben und in Liebe darbringst – kann vor dem Vater als lieblicher Wohlgeruch aufsteigen.
IV. Geistlicher und praktischer Leitfaden: Wie bringe ich heute ein Opfer des lieblichen Wohlgeruchs dar?
Hier ein einfacher, aber tiefgehender theologischer und seelsorglicher Leitfaden, wie du diese Wirklichkeit jeden Tag leben kannst:
1. Beginne jeden Tag mit einem Gebet der Hingabe
Sprich direkt nach dem Aufstehen:
„Herr, ich bringe Dir diesen Tag dar – mit all seinen Freuden und Leiden, seiner Arbeit und seiner Ruhe – als Opfer für Dich. Möge es ein lieblicher Wohlgeruch sein, vereint mit dem Opfer Deines Sohnes am Kreuz.“
2. Trage jedes kleine Kreuz mit Liebe und ohne Klage
Ein Opfer ohne Liebe gefällt Gott nicht. Aber ein Unbehagen, eine Krankheit, eine Enttäuschung – in Liebe und Glauben angenommen – werden zu geistlichem Wohlgeruch. Opfere deine täglichen Kreuze dem Herrn auf.
3. Nimm bewusst an der Messe teil
Beim Offertorium bring dein Herz, deine Absichten, dein ganzes Leben dar, indem du sie mit der Darbringung von Brot und Wein vereinst, die in Christus verwandelt werden.
4. Lebe eucharistisch: Lebe in Dankbarkeit
Eucharistie bedeutet „Danksagung“. Wenn du dankst – selbst im Leid – wirst du selbst ein lebendiges, Gott wohlgefälliges Opfer.
5. Beichte regelmäßig und demütig
Ein reines Herz steigt höher als der edelste Weihrauch. Das Sakrament der Versöhnung ist das Feuer, das die Seele reinigt und würdig macht, sowohl Altar als auch Opfer zu sein.
6. Übe verborgene Nächstenliebe
Jesus sagte: „Dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird es dir vergelten.“ Das Gute, das du tust, ohne menschliche Anerkennung zu suchen, ist der reinste Duft, der zum Himmel aufsteigt.
V. Schlussgedanke: Ein Duft, der die Welt verwandelt
Die heutige Welt ist voller Lärm, Verwirrung und Selbstbezogenheit. Doch du – wie Noach, wie Mose, wie Christus selbst – kannst dein Leben als ein „Opfer des lieblichen Wohlgeruchs“ darbringen.
Dieses Opfer riecht nicht nach Stolz oder Eitelkeit, sondern duftet nach Demut, Liebe, Gebet und Selbsthingabe.
In einer Kultur, die alles nach Nutzen und Äußerlichkeit bewertet, ist das Leben als „lebendiges Opfer“ ein revolutionärer Akt – tief christlich und ewig fruchtbar.
Wenn der Priester den Kelch erhebt und betet:
„…mit lieblichen Wohlgeruch, zum Heil für uns und die ganze Welt…“
Dann bist du mitgemeint. Dein tägliches Opfer, deine stille Treue, dein stummes Kreuz… können die Welt verändern, wenn sie in Liebe vereint mit Christus dargebracht werden.
Und du? Bist du bereit, dein Leben zu einem Weihrauch für den Herrn werden zu lassen?