Das geweihte Leben: Die Welt für Gott aufgeben im 21. Jahrhundert

Seit den ersten Jahrhunderten des Christentums ist das geweihte Leben ein radikales Zeugnis des Evangeliums. Diejenigen, die diese Berufung wählen, verzichten auf die Güter und Freuden der Welt, um ausschließlich für Gott zu leben, nach dem Vorbild Christi. Aber was bedeutet es wirklich, „die Welt aufzugeben“? Bedeutet das, die Gesellschaft, die Kultur oder den Fortschritt abzulehnen? Macht es heute, in der digitalen und globalisierten Welt, überhaupt noch Sinn, sein Leben vollständig Gott zu weihen?

Dieser Artikel versucht, diese Fragen aus einer tiefgründigen, aber dennoch zugänglichen theologischen Perspektive zu beantworten. Er beleuchtet die Ursprünge des geweihten Lebens, seine historische Entwicklung und seine Bedeutung für die Kirche und die Welt heute.

1. Was ist das geweihte Leben?

Das geweihte Leben ist eine Berufung innerhalb der Kirche, bei der eine Person auf Gottes Ruf antwortet, indem sie die Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams ablegt. Diese Verpflichtung ist eine besondere Art, Christus nachzufolgen – eine radikale Umsetzung des Evangeliumswortes:

„Sie ließen alles hinter sich und folgten ihm nach.“ (Lukas 5,11)

Die Kirche erkennt verschiedene Formen des geweihten Lebens an, darunter:

  • Das Ordensleben: Mönche, Nonnen, Brüder und Schwestern, die in Gemeinschaft leben.
  • Säkularinstitute: geweihte Personen, die in der Welt leben und dennoch ihre Gelübde halten.
  • Geweihte Jungfrauen und Einsiedler: Personen, die ihr Leben Gott weihen, ohne einer bestimmten Gemeinschaft anzugehören.

2. Die biblischen Grundlagen des geweihten Lebens

Im Alten Testament gibt es Gestalten, die ihr Leben Gott geweiht haben, wie die Nasiräer (Richter 13,5), die unter besonderen Gelübden lebten. Das geweihte Leben, wie wir es heute kennen, wurzelt jedoch im Neuen Testament und im Vorbild Christi selbst, der in Armut, Keuschheit und Gehorsam gegenüber dem Vater lebte.

Auch der heilige Paulus betont die Bedeutung dieser vollständigen Hingabe:

„Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn, wie er dem Herrn gefallen kann.“ (1 Korinther 7,32)

Schon in den ersten Jahrhunderten nahmen viele Christen diese Worte als persönliche Berufung wahr, die Welt zu verlassen, um allein für Gott zu leben. Daraus entwickelten sich das Mönchtum und die ersten religiösen Gemeinschaften.

3. Geschichte und Entwicklung des geweihten Lebens

Die ersten Jahrhunderte: Das Mönchtum und die Wüstenväter

Im 3. Jahrhundert begannen Männer und Frauen, sich in die Wüste zurückzuziehen, um in Gebet und Buße zu leben. Eine der bekanntesten Figuren ist der heilige Antonius der Große, der als Vater des Mönchtums gilt. Sein Leben inspirierte Tausende von Nachfolgern, und sein Erbe ist bis heute in den monastischen Orden lebendig.

Das Mittelalter: Der Aufstieg der Ordensgemeinschaften

Im 6. Jahrhundert festigte der heilige Benedikt von Nursia das monastische Leben mit seiner berühmten Regel: „Ora et labora“ (Bete und arbeite). Jahrhunderte später entstanden die Bettelorden wie die Franziskaner und Dominikaner, die in Armut lebten und das Evangelium in die ganze Welt trugen.

Das geweihte Leben in der Neuzeit

Im Laufe der Zeit wurde das geweihte Leben vielfältiger. Im 19. und 20. Jahrhundert entstanden viele neue Kongregationen, die sich der Bildung, der Krankenpflege und der Mission widmeten.

Heute, auch wenn in manchen Regionen die Zahl der Berufungen zurückgeht, bleibt das geweihte Leben ein Fundament der Kirche und ein Licht in der Welt.

4. Was bedeutet es heute, „die Welt aufzugeben“?

Die Welt aufzugeben bedeutet nicht, sie zu hassen oder abzulehnen, sondern in ihr zu leben, ohne von ihren vergänglichen Werten beherrscht zu werden. Es bedeutet:

  • Zuerst das Reich Gottes zu suchen (Matthäus 6,33) anstatt Erfolg, Reichtum oder Ruhm.
  • Evangelische Armut zu leben, im Vertrauen auf Gottes Vorsehung.
  • Keuschheit zu üben als eine totale Hingabe an Christus, mit ungeteiltem Herzen zu lieben.
  • Gehorsam zu üben als einen Akt des Glaubens und der Demut in einer Zeit des radikalen Individualismus.

Ein moderner Mönch fasste es treffend zusammen:

„Wir sind nicht vor der Welt geflohen. Wir haben auf das verzichtet, was die Welt für wertvoll hält, um das zu gewinnen, was Gott für wertvoll hält.“

5. Hat das geweihte Leben im 21. Jahrhundert noch eine Bedeutung?

In einer Welt, die von Konsum, Oberflächlichkeit und Selbstbezogenheit besessen ist, ist das geweihte Leben prophetisch. Es erinnert uns daran, dass unser Leben nicht auf das Materielle beschränkt ist, sondern zu etwas Größerem berufen ist.

Geweihte Männer und Frauen sind eine unverzichtbare Präsenz in der Kirche und in der Welt:

  • Die kontemplativen Mönche und Nonnen sind ein spirituelles Kraftzentrum, das die Menschheit im Gebet trägt.
  • Die Ordensgemeinschaften dienen weiterhin den Armen, in Krankenhäusern, Schulen und Missionen.
  • Die geweihten Laien zeigen, dass es möglich ist, die Werte des Evangeliums in jedem Umfeld zu leben.

6. Ein Zeugnis, das die Welt braucht

Die heilige Teresa von Kalkutta sagte einst:

„Gott hat mich nicht dazu berufen, erfolgreich zu sein, sondern treu.“

Diese Treue ist die Lektion, die das geweihte Leben uns lehrt. In einer Zeit, in der Verbindlichkeit brüchig ist und Treue als veraltet gilt, zeigen uns geweihte Männer und Frauen, dass es sich lohnt, alles für Gott zu geben.

Fazit: Das geweihte Leben – ein Schatz für die Kirche und die Welt

Die Welt für Gott aufzugeben ist kein Verlust, sondern ein Gewinn – die Entdeckung des wahren Sinns des Lebens. In einer Zeit, in der das Vergängliche und Oberflächliche verherrlicht wird, ist das geweihte Leben ein Zeugnis radikaler Liebe zu Gott.

Es ist eine herausfordernde, aber zutiefst schöne Berufung. Und auch wenn nicht jeder von uns dazu berufen ist, können wir doch alle von ihrem Beispiel lernen: Gott ins Zentrum zu stellen, mit Einfachheit und Liebe zu leben und uns daran zu erinnern, dass unser eigentliches Ziel der Himmel ist.

Möge das Zeugnis der Geweihten uns dazu inspirieren, uns diese Fragen zu stellen: Wozu bin ich berufen? Wie kann ich in meinem eigenen Leben mehr für Gott und weniger für die Welt leben?

Denn am Ende zählt nur eines … Gott.

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Pater noster, qui es in cælis: sanc­ti­ficétur nomen tuum; advéniat regnum tuum; fiat volúntas tua, sicut in cælo, et in terra. Panem nostrum cotidiánum da nobis hódie; et dimítte nobis débita nostra, sicut et nos dimíttimus debitóribus nostris; et ne nos indúcas in ten­ta­tiónem; sed líbera nos a malo. Amen.

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