Einleitung: Ein Geheimnis, das uns alle betrifft
Die Zeit ist eine Realität, die wir alle erleben, aber nur wenige wirklich verstehen. Wir klammern uns an Erinnerungen an die Vergangenheit, kämpfen mit der Unsicherheit der Zukunft und vergessen manchmal, ganz im Hier und Jetzt zu leben. Aber ist die Zeit nur eine Abfolge von Momenten? Wie verhält sie sich zur Ewigkeit Gottes?
Der heilige Augustinus von Hippo, einer der größten christlichen Denker aller Zeiten, hat sich in seinem Werk Die Bekenntnisse tief mit diesem Thema auseinandergesetzt. Seine Analyse der Zeit ist nicht nur eine philosophische Übung, sondern ein Schlüssel zum Verständnis unserer Existenz im Licht Gottes. In diesem Artikel werden wir untersuchen, wie Augustinus uns hilft, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus der Perspektive der Ewigkeit zu betrachten und warum seine Gedanken heute noch relevant sind.
1. Augustinus und die Zeit: Ein philosophisches und spirituelles Problem
Bevor Augustinus sich dem Christentum zuwandte, war er vom Neuplatonismus beeinflusst, der die Zeit als einen Schatten der Ewigkeit betrachtete. Doch nach seiner Bekehrung wurde sein Verständnis der Zeit durch die göttliche Offenbarung bereichert.
Im elften Buch der Bekenntnisse stellt Augustinus eine tiefgründige Frage:
„Was also ist Zeit? Wenn mich niemand fragt, weiß ich es; wenn ich es jemandem erklären will, weiß ich es nicht.“ (Bekenntnisse XI, 14, 17).
Dieses scheinbare Paradoxon zeigt, dass wir alle intuitiv Zeit erfahren, sie aber schwer definieren können. Augustinus lehnt die Vorstellung ab, dass die Zeit einfach nur die Bewegung der Körper ist (wie es die heidnischen Philosophen annahmen), und beschreibt sie stattdessen als etwas, das eng mit dem Geist und dem Gedächtnis verbunden ist.
Seine überraschendste Erkenntnis ist diese: Vergangenheit und Zukunft existieren nicht wirklich. Nur die Gegenwart existiert, aber in drei Dimensionen:
- Erinnerung (die Vergangenheit, die in unserem Geist weiterlebt)
- Aufmerksamkeit (die Gegenwart, wie wir sie im Moment erleben)
- Erwartung (die Zukunft, die wir uns vorstellen und erhoffen)
Diese Einsicht ist nicht nur philosophisch tiefgründig, sondern auch spirituell transformierend.
2. Die Ewigkeit Gottes und unser Verhältnis zur Zeit
Die Heilige Schrift lehrt uns, dass Gott ewig ist, aber was bedeutet das genau? Augustinus hilft uns zu verstehen, dass Ewigkeit nicht „eine lange Zeit“ ist, sondern eine völlig andere Realität: Gott ist die ewige Gegenwart.
Im Buch Exodus, als Mose nach dem Namen Gottes fragt, antwortet Er:
„Ich bin, der ich bin“ (Exodus 3,14).
Gott sagt nicht „Ich war“ oder „Ich werde sein“, sondern „Ich bin“, was zeigt, dass es in Ihm weder Vergangenheit noch Zukunft gibt – nur eine ewige Gegenwart.
Der Apostel Petrus bringt diese Wahrheit ebenfalls zum Ausdruck:
„Vor dem Herrn ist ein Tag wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag.“ (2 Petrus 3,8).
Für Gott geschieht alles gleichzeitig. Unser Gestern, Heute und Morgen liegen offen vor Ihm in einem einzigen Akt des Wissens und der Liebe.
3. Wie kann man die Zeit aus einer ewigen Perspektive leben?
Wenn nur die Gegenwart existiert, wie sollen wir sie dann leben? Augustinus gibt uns eine klare Antwort: Wir müssen jeden Moment mit Blick auf die Ewigkeit leben. Das bedeutet:
- Die Vergangenheit durch Vergebung heilen: Wir können nicht ändern, was geschehen ist, aber wir können es durch die Gnade Gottes erlösen.
- Die Gegenwart mit Intensität und Ziel leben: Jeder Moment ist eine Gelegenheit, zu lieben und Gutes zu tun.
- Die Zukunft der göttlichen Vorsehung anvertrauen: Anstatt in Angst zu leben, sollten wir uns dem Willen Gottes überlassen.
Jesus betont diese Wahrheit, wenn Er sagt:
„Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage.“ (Matthäus 6,34).
Mit anderen Worten: Gott ruft uns dazu auf, das Jetzt im Glauben und Vertrauen zu leben.
4. Praktische Anwendungen: Was kann Augustinus uns heute lehren?
Wir leben in einer Zeit, die von der Besessenheit mit der Zeit geprägt ist. Soziale Medien vermitteln uns das Gefühl, immer etwas zu verpassen, die Angst vor der Zukunft raubt uns den Frieden, und die Nostalgie für die Vergangenheit hindert uns daran, voranzukommen.
Augustinus bietet uns ein Heilmittel für diese moderne Herausforderung:
- Nicht in der Vergangenheit gefangen bleiben: Oft durchleben wir Fehler oder Wunden erneut, die Gott bereits geheilt hat. Doch die Vergangenheit hat nur insofern Wert, als sie uns hilft, in der Gegenwart besser zu lieben.
- Nicht in der Illusion der Zukunft leben: Planen ist gut, aber das wahre Leben findet nicht in dem statt, was kommen wird – es liegt im Jetzt.
- Die Gegenwart als Geschenk neu entdecken: Jeder Moment ist eine Gelegenheit, Gott zu begegnen.
Die heilige Thérèse von Lisieux hat dieses Prinzip wunderbar in ihrem „kleinen Weg“ angewandt, indem sie jeden Moment mit Liebe lebte, ohne sich um gestern oder morgen zu sorgen.
Schlussfolgerung: Eine Zeit für Gott, eine Zeit für die Ewigkeit
Augustinus hinterlässt uns eine große Lektion: Zeit ist eine mysteriöse Realität, aber wenn wir sie in Gott leben, bekommt sie eine tiefere Bedeutung. Wir sind nicht nur für die Zeit geschaffen, sondern für die Ewigkeit.
Wenn wir wirklich erfüllt leben wollen, müssen wir lernen, die Zeit mit den Augen des Glaubens zu sehen:
- Die Gegenwart als den einzigen realen Moment zum Lieben annehmen.
- Die Vergangenheit durch Gottes Barmherzigkeit heilen.
- Die Zukunft der göttlichen Vorsehung überlassen.
Auf diese Weise wird unser Leben nicht nur eine Abfolge von Tagen und Jahren sein, sondern ein Weg zur Ewigkeit. Wie Augustinus berühmt sagte:
„Du hast uns auf dich hin geschaffen, und unser Herz ist unruhig, bis es ruht in dir.“ (Bekenntnisse I,1).
Lassen wir uns von der Ewigkeit Gottes leiten, um die Zeit in ihrem vollen Sinn zu leben.
Ich hoffe, dieser Artikel hat Ihnen geholfen, das Zeitverständnis des heiligen Augustinus besser zu begreifen. Was denken Sie darüber? Wie erleben Sie Ihre Beziehung zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? Lassen Sie es mich in den Kommentaren wissen, und lassen Sie uns weiter gemeinsam lernen!